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Die Favoritin

Titel: Die Favoritin
Autoren: Davenat Colette
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gefeiert wurde, bat mein Vater, der Handwerker möge ihm den Weg zu dem Ort zeigen, wo die Zeremonie stattfand.
    Der schüttelte den Kopf.
    »Mann der Felder, wisse, daß die Mitte unserer Stadt jedwedem verboten ist, der dort nichts zu tun hat im Dienst oder zur Erheiterung des Inka und seiner Sippe! Mein Junge wird dich und deine Familie auf den Hügel von Sacsahuaman führen. Unseren Capa Inka, den großen Huayna Capac, wenn auch nur von Ferne zu sehen wird euch eine Erinnerung bescheren, die euer Leben lang blühen wird … Was hast du für ein schönes Kind! Wie schade, daß ihr nicht hier wohnt, sonst könntest du es mir ausleihen, und ich würde es auf meine Gefäße malen.«
    Von der Hügelkuppe, auf die der Junge uns geführt hatte, überschauten wir das Tal unter dem Kranz seiner bräunlichen Bergrücken. Mitten darin erhob sich Cuzco, und ich sah zum erstenmal, wie diese ganze Stadt in der glühenden Sonne funkelte und gleißte, daß jeder Blick geblendet war.
    Cuzco hat sich sehr verändert, Pater Juan. Eure Landsleute haben die Goldplatten von den Tempeln und Palästen gerissen, die einst ihre Fassaden bedeckten, und der große Brand hat das königliche Geflecht aus Gold- und Silberfäden verzehrt, das seine Dächer überzog. Aber hättet Ihr es vor der Ankunft der Euren gesehen, wie ich es sah … Es war ein unfaßliches Wunder!
    Gesänge fesselten mein Ohr. Sie stiegen von den Feldbauterrassen unter uns auf und begrüßten das Erscheinen des Inka und seines Gefolges … Welchen Eindruck ich von ihm hatte? Dazu war ich zu weit entfernt, und mir schwirrte der Kopf zu sehr. Außerdem werde ich noch hundertmal Gelegenheit haben, Euch Huayna Capac zu beschreiben.
    Während der Inka mit seiner goldenen Takila die Zeit der Feldarbeiten eröffnete, indem er zu den fröhlichen Klängen des Haylli die erste Furche zog, richteten sich meine neugierigen Blicke auf die Frauen, die auf das Feld strömten. Die einen reichten Becher mit Chichawein herum; andere kauerten vor dem Inka und den Prinzen seines Geblüts, die sich der Feldarbeit widmeten, und zerbröckelten mit bloßen Händen die Ackerkrumen, die jene mit ihren Hacken aufwarfen. Ich eilte ihrem Tun im Geiste voraus: es war das gleiche, was meine Mutter, meine Schwester und ich auf dem Dorf verrichteten. Aber welch himmelweiter Unterschied! Mit welcher Anmut diese Geschöpfe sich dabei bewegten, mit welcher fließenden Geschmeidigkeit ihre Gestalten sich unter den Tuniken abzeichneten, die sie mit edelsteinbesetzten Broschen gerafft hatten! Und wenn ich aus der Entfernung auch ihre Züge nicht erkannte, stellte ich mir doch vor, daß sie ebenso fein sein müßten wie ihre Kleider. Plötzlich fühlte ich mich plump und grob wie die Tontöpfe, die wir uns zum Hausgebrauch kneteten, im Vergleich mit den Gefäßen, die ich im Haus des Handwerkers bewundert hatte … Aber dieser Mann, der Kunstwerke schuf, hatte mich schön gefunden, so schön, daß er mich am liebsten darauf abbilden wollte! Ich stieß ein Wimmern aus.
    »Was hast du?« fragte meine Mutter und beugte sich zu mir herab.
    Ihr Gesicht machte mir Angst: es war meines, das gleiche, das ich einmal bekommen würde.
    Ich stieß sie weg.
    Kaum zurück in unserer Ayllu, lief ich und betete zu unserer Huaca. Jeden Nachmittag stieg ich hinauf und nahm auch immer ein Geschenk mit, einen Wollfaden, eine Vogelfeder oder Kaktusstacheln – aus denen wir Nadeln und Zinken für unsere Kämme machten –, kurz, was immer mir kostbar genug erschien, sie zu erweichen.
    Ich betete auch zur Pachamama.
    Meistens vermischen die Leute, die von Euren Geistlichen bekehrt worden sind, die Jungfrau Maria und die Pachamama. Sie erhoffen sich von allen beiden Erbarmen und Schutz. Aber die eine ist die von Engeln getragene Mutter Gottes; die andere, unsere Pachamama, ist die Mutter der Erde. Und die Erde, wie Ihr vielleicht verstanden habt, Pater Juan, ist die Quelle, aus der wir unsere Kraft schöpfen, den Frieden der Seele, das Beste unserer selbst …
    Auf die Gefahr, mir den Hals zu brechen, suchte ich im Geröll also nach Kieseln von ungewöhnlicher Form oder besonders schöner Farbe und vergrub sie in der Erde, da ich wußte, daß sie Pachamama erfreuen würden. Eines Tages fand ich im Gras eine rote Wolltroddel, wie wir sie den Lamas um die Stirn banden zum Schutz vor bösen Geistern. Obwohl sie mir nicht gehörte, nahm ich sie an mich und vergrub auch sie. Denn Pachamama liebt Rot über alles! Danach aber bekam
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