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Die Farben der Wirklichkeit

Die Farben der Wirklichkeit

Titel: Die Farben der Wirklichkeit
Autoren: Körner
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zurück. Eva und Lilith freuten sich darauf, nach ihrer Rückkehr bei der Geburt dabei sein zu können und wünschten ihrer Freundin viel Glück.
    In ’Gib’ angekommen, stellten sie etwas Erstaunliches fest. Ihr Aufenthalt vor Jahren hatte offenbar einiges in Bewegung gesetzt. Sie verstanden die Entwicklung nicht ganz, begriffen die Zusammenhänge kaum — aber es hatte sich etwas verändert. Die Jugend fand die Ideale der Eltern altmodisch und dumm; die Eltern hielten die Jugend für verrückt und unverschämt. Am meisten verblüffte die beiden Mädchen, daß sie samt Shulamith zu Idolen in ‘Gib’ geworden waren. Die Jugend verehrte sie alle drei, begründete ihren Protest mit dem Vorbild der drei Mädchen: Man könne auch sich selber etwas geben, hieß es. Und es wäre für das eigene Wohlbefinden weitaus besser, sich selbst etwas zu geben, als immer nur den anderen. Ja, die Gerüchte über die Menschen von ’Nim’ kursierten heftig; sich selbst etwas geben, das konnte ja auch heißen, sich etwas zu nehmen - so dachten viele junge Intellektuelle. Und zahllose junge Menschen übernahmen diese Gedanken begeistert, hielten diese neue Idee für den wahren Sinn des Lebens und begannen damit, sich alles zu nehmen, was ihnen über den Weg kam. Endlich einmal nur an sich denken und nicht nur an die anderen, hieß die neue Parole. Eis gab sogar Therapiezentren, in welchen jeder lernen konnte, mehr an sich und seine eigenen Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse zu denken und sich einfach zu nehmen, was man brauchte. Die anderen können es ja genauso machen, so wurde Eva und Lilith auf ihre Zweifel erwidert. Jeder sei sich ja wohl zunächst einmal selbst der Nächste. Lange genug habe man unter Rücksicht, Demut und Unterdrückung gelitten. Damit sei jetzt Schluß!
    Die Erwachsenen begriffen das alles nicht. Einige wenige fanden diese neuen Ideen gar nicht so übel — aber im großen und ganzen gab es zwei Lager: die Alten und die Jungen. Alles war durcheinander, ein wenig verrückt. Niemand fand sich mehr so richtig zurecht. Ein wenig erinnerte Eva und Lilith das Ganze an ihre Heimat in ’Nim’ — nur waren hier in ’Gib’ alle verwirrt, keiner mehr zufrieden. Glücklich waren sie sowieso noch nie gewesen. Aber jetzt waren — trotz neuer Gedanken und großer Aufbruchstimmung ~ immer mehr unglücklich, haltlos und wußten nun gar nicht mehr, was los war.
    Die Mädchen fanden mit ihrer Erzählung aus ’Sei’ kaum Interesse, von einigen wenigen Nachdenklichen abgesehen. Alles, was sie als die großen Idole der Jugendbewegung sagten und erzählten, wurde sofort in neue Ideale gepreßt — und meistens völlig falsch verstanden. Sie waren nahe am Verzweifeln. Schließlich beschloß Lilith, daß sie wenigstens hier bleiben müsse, um das Leben von ’Sei’ den Menschen hier näher zu bringen und ihre Rolle als großes Vorbild zu nützen, um wenigstens etwas zurecht zu rücken. So ganz falsch war ja vieles gar nicht, was die Jugend dachte und wollte, sie schoß nur übers Ziel hinaus und drohte zu einem Abklatsch der Menschen von ’Nim’ zu werden.

     
    Eva fuhr also allein den weiten Weg über das Meer in ihre Heimat. Beim Abschied konnte sie als letzten Eindruck noch mitnehmen, daß Lilith und deren letzte Rede über ’Sei’ heftig angegriffen wurde — seltsamerweise von den Jugendlichen ebenso wie von deren Eltern. Lilith war etwas hilflos, hoffte aber, mit der neuen Situation schon zurecht zu kommen. Eva ließ ihre Freundin mit unguten Gefühlen zurück.
    In ’Nim‘ angekommen, erging es ihr kaum besser als in ’Gib’. Auch hier war eine große Bewegung entstanden. Die Abreise der drei Mädchen hatte heftige Diskussionen ausgelöst. Die Jugend hier hatte erkannt, daß nur Nehmen alleine nicht glücklich macht, daß es noch andere Dinge im Leben gibt als Karriere, Arbeit, Ehrgeiz und Rücksichtslosigkeit. Das Wort von der Nächstenliebe, vom Geben machte die Runde. Und auch hier standen die Erwachsenen einem Rätsel gegenüber.
    Die meisten taten dies als Spinnerei ab und hofften, daß die Jugend schon wieder vernünftig werden würde. Nur wenige wurden nachdenklich, beschäftigten sich intensiver mit den neuen Idealen.
    Als nun Eva ihre Geschichte aus ’Sei’ erzählte, geschah etwas seltsames: Die Jugendlichen spalteten sich auf in viele kleine Bewegungen. Jede machte sich einen Teil von Evas Berichten zu eigen. Untereinander aber bekämpften sie sich heftig. Die Erwachsenen wurden noch mehr
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