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Die Farben der Wirklichkeit

Die Farben der Wirklichkeit

Titel: Die Farben der Wirklichkeit
Autoren: Körner
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verging. Nichts geschah.
    Immer noch stolzierte die Krähe jeden Morgen durch den Schwarm der wartenden Spatzen. In ihrem Gefolge die Blinden, die über jede kleine Bodenunebenheit stolperten. Immer noch freute sich die Krähe, daß die Spatzen ehrfürchtig vor ihr die Köpfe senkten.
    Die Spatzen begannen sich zu wundern. Vor allem wunderten sie sich über ihre Brüder und Schwestern, die dem großen schwarzen Vogel nachstolperten, ihre blinden Köpfe in die Runde drehten, kein Wort sprachen und nichts mehr sahen.
    „Das kann nicht der Paradiesvogel sein, den wir suchen“, stellten sie fest und beschlossen weiterzufliegen.
    Wieder ließen sie Wiesen und dichte Wälder unter sich. Flogen über breite Flüsse, die sich träge ins Meer wälzten und über karge Steppen, die dem Wind als Spielplatz dienten. Als sie müde waren, setzten sie sich an den Hang eines felsigen Berges, um ein wenig auszuruhen. Plötzlich verfinsterte sich die Sonne, die Luft zitterte unter der Gewalt eines riesigen Vogels, der mit rauschenden Mügeln mitten in dem Spatzenschwarm landete. Viele von ihnen wurden von dem starken Luftsog fortgewirbelt und einige fanden gar den Tod unter den Füßen des gewaltigen Vogels. Stolz aufgerichtet saß dieser über dem Schwarm der kleinen, sich duckenden Spatzen, blähte seine Flügel mächtig im abendlichen Bergwind, äugte nach unten und fragte drohend: „Was sucht ihr hier? Wer seid ihr?“
    Die Spatzen zitterten, wie sonst nur unter aufkommenden Gewitterwolken in ihrer Heimat, verbargen die Köpfe unter den Flügeln und atmeten heftig vor Angst. Endlich trat einer hervor, der mutig genug war und flüsterte kaum hörbar: „Wir... sind nur zufällig hier. Wir suchen den Vogel, der über alles Bescheid weiß. Wir suchen den Paradiesvogel.“
    „Schaut mich an“, dröhnte gewaltig die Stimme des Adlers — denn um einen solchen handelte es sich — „wer bin ich?“
    Die Spatzen zuckten zusammen vor dieser drohenden Stimme, steckten die Köpfe unters Gefieder und zitterten vor Angst.
    „Du, du bist es“, fiepte schließlich einer von ihnen, der es vor lauter Angst nicht mehr unter seinem Flügel aushielt, „du mußt es sein.“
    Auch alle anderen Spatzen blinzelten jetzt erleichtert unter ihren Federn hervor und riefen begeistert im Chor: „Du mußt es sein! Wir haben ihn gefunden!“
    Da streckte der Adler seine gewaltigen Schwingen gegen den Wind und drohte: „Seid jetzt ruhig und stört meine Kinder nicht, die hier im Horst schlafen.“
    Die Spatzen suchten sich Heu, Stroh und Lehm, um ihre Nester möglichst dicht um den Adlerhorst zu bauen und versuchten von dem großen Vogel zu lernen. Sie wollten mit ihm in endlose Höhen steigen, um alles zu sehen und übten sich darin, in wildem Sturzflug hinabzuschießen auf die Erde. Aber nur wenigen gelang es. Jene aber packte der Adler und warf sie seinen Jungen zum Fraß vor. Das blieb den Spatzen nicht verborgen, und sie beschlossen weiterzuziehen. Daß dies der gesuchte Paradiesvogel sein sollte, konnten sie sich inzwischen nicht mehr vorstellen.
    Wieder zogen sie lange über Meere, die sich wild schäumend unter ihnen aufbäumten. Über sandzerflossene Wüsten, die auf das Ende der Ewigkeit warteten. Über schneebedeckte Berge und weite, fruchtbare Ebenen. Sie flogen solange, bis sie eines Tages nicht mehr konnten. In einem dicht wuchernden Wald ließen sie sich nieder, um auszuruhen und zu überlegen, wie es denn nun weitergehen solle.
    „Wir müssen umkehren“, riefen einige, „es hat keinen Sinn weiterzufliegen!“
    „Wir finden ihn schon noch“, sagten andere, „wir brauchen eben Zeit.“
    „Zeit finden! Weiterfliegen! Sinn! Eben, eben!“ quasselte plötzlich eine fremde Stimme neben ihnen und dann weiter: „Finden keinen. Schon, schon. Müssen keinen. Brauchen schon“.
    Ein buntgefiederter Vogel flatterte in den verdutzt blickenden Spatzenschwarm, legte den Kopf zur Seite und redete pausenlos weiter: „Wir ihn. Hat es müssen. Es hat Sinn.“
    „Wer bist denn du?“, fragten die Spatzen, „was redest du da?“ „Redest du da. Da, da bist du. Sinn!“
    „Was hat er von Sinn gesagt?“ rief ein Spatz aufgeregt. „Ich glaube, dieser bunte Vogel will uns etwas Wichtiges sagen.“
    „Buntsinn! Vogel Wichtiges“, erzählte der Papagei — denn um einen solchen handelte es sich.
    „Frag’ ihn doch mal, ob er weiß, wo der Paradiesvogel ist. Es könnte ja sein, daß er vielleicht ganz in der Nähe ist.“
    „Paradiesvogel.
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