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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Madison Smartt Bell
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waren – ich erinnere mich nicht mehr, was sie machten, ob sie sich unterhielten oder dösten oder uns ansahen. Eine Single kreiste auf einem Plattenspieler, der sich wie ein Aktenkoffer aufklappen ließ. Könnte sein, dass es einer von O.s frühen Hits war. Das Lachen, das sich in Laurel aufstaute, ließ mich lächeln, unwillkürlich, und das kam nicht oft vor.
    »Schau sich uns einer an«, sagte sie mit einem irren Blick, der um die Goldflecken in ihren Augen tanzte, »schau sich uns einer an.«
    Das Lachen sprudelte wieder über. »Komm mit«, sagte sie. »Wir verziehen uns.« Sie zog mich zur Hintertür des Raumes und auf den Steg, der an den anderen Zimmern dieser verrückten Konstruktion vorbeiführte. Der Raum, aus dem wir kamen, war mal ein Schulbus gewesen, der im Sand versunken war, als den Reifen die Luft ausging, vermutete ich, und als der Bus zu klein wurde, hatten sie eine Seitenwand herausgerissen, einen größeren Raum angebaut und ein Blechdach draufgenagelt, das über das rostige Metall des Busses ragte. Von da an war das Ganze einfach immer weitergewuchert.
    Auch der Steg hatte ein Blechdach, und ich konnte ganz weit über die Wüste bis zu den Bergen am Horizont blicken, die sich gerade leuchtend violett färbten, während die Sonne allmählich in ihnen versank. Laurel zog mich mit zu ihrem Zimmer. Es hatte keine Tür, bloß einen Perlenvorhang. Wir klimperten hindurch. Drinnen glimmte ein weiteres Räucherstäbchen. Noch mehr Kissen und eine Doppelmatratze lagen auf dem Boden, daneben stand ein kleiner Tisch mit einem ovalen Spiegel, der nach oben zeigte. Statt eines Daches hatte Laurels Zimmer eine Plane, die über einen oben spitz zulaufenden Kantholzrahmen gespannt war, sodass man sich vorkam wie in einem Nomadenzelt.
    An einer Wand war so ein flimmernder Op-Art-Kreis, und ich musste gleich wieder wegschauen, um nicht loszukotzen oder einen Krampfanfall zu kriegen. Mein Blick blieb an einem anderen Poster hängen, einem schwarzweißen: Eine blasse, schlanke Frau lag nackt auf dem Rücken und blickte mit nach rechts gedrehtem Kopf irgendwohin. Der Pfuhl zwischen ihren Oberschenkeln war mit Juwelen gefüllt; eine Vagina dentata mit Diamanten als Zähnen. Natürlich sah ich das damals nicht so. Der Text darunter war einer dieser Sprüche, die zu der Zeit als geistreich galten:
Der Schmuck ist soundso viel wert. Der Rest ist unbezahlbar
.
    Der Raum war mit Sonnenuntergangslicht gefüllt, und über uns seufzte die Zeltplane im sanften Wind. Laurel hatte meine Hand losgelassen, stand aber noch immer nahe bei mir und taxierte mich. Ihr Haar hatte einen roten Stich, wie ich jetzt sah, ihre Wangenknochen waren mit zimtbraunen Sommersprossen gesprenkelt, und ihr Duft war von einer angenehmen Mischung aus Moschus und leichtem Schweißgeruch. Ich begann, den Fels unter ihrer weichen Oberfläche zu spüren. Ihre Augen schätzten mich ab. Bestimmt bumste auch sie mit D. – das taten wir alle, ob es uns gefiel oder nicht. In seiner Theorie gab es so etwas wie Eifersucht nicht, aber in der Praxis benutzte er sie als Schwert.
    »Mae«, sagte Laurel, kostete meinen Namen mit der Zungenspitze. Ich war sicher, dass ich ihr meinen Namen nicht verraten hatte. Ich hatte noch kein Wort zu ihr gesagt.
    »Du kannst hierbleiben, Mae«, sagte sie. »Bei mir.«

6
    Die Stadt, in der ich jetzt lebte, war einmal für die Leute gegründet worden, die den Hoover-Damm bauten, und lange Zeit gab es hier kein Glücksspiel, weil die Arbeiter es nicht wollten oder weil diejenigen, die damals das Sagen hatten, es ihnen nicht gönnten. Das nächste Kasino lag ein Stück weiter nördlich in einer Bergspalte, die irgendwann für die Eisenbahn geschlagen worden war. Von außen sah es immer ruhig aus, vor allem abends, ein großer sandfarbener Quader, rein funktional, aber mit sauber verlaufenden Kanten und Linien, die ihm manchmal etwas Tempelartiges verliehen. Eine breite Steintreppe verlief vom Eingang nach unten, die Stufen waren mit roten und blauen Neonröhren umrandete Rechtecke. Die Lichter um die Tür blinkten nicht. Am 12. September kam ich in der Abenddämmerung an.
    Alles wie immer. Mein Tisch war fast die ganze Nacht über zu drei Vierteln besetzt. Ein paar Stammkunden und ein paar Gelegenheitsspieler, wie üblich. Möglicherweise sprachen sie etwas mehr miteinander als normalerweise, überboten sich gegenseitig mit Horrorgeschichten und Verschwörungstheorien. Ich weiß es nicht. Ich achtete nie darauf, was die
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