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Die Farbe Der Leere

Die Farbe Der Leere

Titel: Die Farbe Der Leere
Autoren: Cynthia Webb
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macht es mir.«
    Er drehte sich zu ihr um und sah sie herausfordernd an. »Sie werden dabei zusehen, wie ich das mit Jose mache. Sie sind der Grund, aus dem ich das mache. Wenn ich mit Jose fertig bin, dann …«
    Nein. Sie würde nicht hier sitzen und zugucken, wie er Jose folterte. Ihre Möglichkeiten waren begrenzt, aber sie konnte wenigstens schreien. Vielleicht hörte sie ja jemand. Sie schrie.
    Er war in weniger als einer Sekunde bei ihr und schlug ihr seitlich ins Gesicht, so dass sie mit dem Stuhl zu Boden ging. Dann packte er den Stuhl mitsamt ihr und stellte ihn wieder gerade hin.
    Seine Stimme klang immer noch ruhig, aber tödlich leer. »Schreien nützt nichts. Niemand hört Sie. Sie schreien alle, und keiner hat je was gehört. Das hab ich sorgsam bedacht, als ich dieses kleine Zimmer angelegt habe.«
    Er legte ihr die Spitze des Messers an die Wange. Sie zwang sich, vollkommen stillzuhalten.
    »Ich könnte es aber auch anders machen. Ich könnte Sie aufschlitzen, ganz langsam, während Jose zuguckt. Da kriegt er schon mal einen Vorgeschmack davon, was auf ihn zukommt. Finden Sie, ich sollte es lieber so rum machen?«
    Sie versuchte die Lage abzuschätzen. Wenn er tatsächlich sie entscheiden ließ, war es von höchster Wichtigkeit, jetzt die richtige Wahl zu treffen. Womöglich war diese Entscheidung das Letzte, was sie für Jose tun konnte. Wenn Lamar zuerst sie folterte und umbrachte, würde das Jose etwas Zeit erkaufen. Es gab zwar keinen Grund anzunehmen, dass mehr Zeit ihm etwas nützen würde, aber es war immerhin eine Chance, wie klein auch immer. Andererseits, wenn Jose sowieso bald sterben musste, war es vielleicht schlimmer, wenn er erst noch ihre Folterung mit zu durchleiden hatte und dann einsam starb?
    Noch einmal erwog sie die Möglichkeit, Lamar anzugreifen und ihm das Messer abzunehmen. Sie kannte die Geschichten über Mütter, die es unter dem Einfluss eines Adrenalinschocks schafften, ein Auto von ihrem Baby zu hieven. Ihr eigener Adrenalinspiegel war mit Sicherheit auf dem Höchststand, aber sie bezweifelte trotzdem, dass sie ihre Hände freibekommen und Lamar überwältigen konnte.
    Wenn Lamar ihr die Handschellen anlegen wollte, musste er Jose losmachen. Es schien nur diese eine Vorrichtung an der Wand zu geben. Vielleicht fand Jose einen Weg zu fliehen, während Lamar mit ihr beschäftigt war. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden, keine Ahnung, wie Jose überhaupt entwischen sollte. Aber es war ihre einzige Hoffnung.
    »Also gut, Lamar. Nimm mich zuerst dran. Ich halte es nicht aus, hier zu sitzen und dich den Jungen foltern zu sehen. Nimm mich zuerst.«
    Jose sah sie an, doch sie konnte in seiner Miene nichts lesen. Er weinte nicht mal mehr. Wenn ihr unausgegorener Plan nicht aufging, würde er zusehen, wie sie starb, und dann allein den eigenen Tod konfrontieren müssen.
    Lamar lächelte. »Ich hab eine bessere Idee. Wie wär's, wenn Sie den Jungen übernehmen?«
    Sie starrte ihn an.
    Lamar band ihr die Hände los und nickte in Joses Richtung. »Jetzt tun Sie mit ihm, was Sie mir angetan haben. Vernichten Sie ihn.«
    Sie schüttelte wie betäubt den Kopf.
    »Doch. Ja, ich glaube, das sehe ich mir gern an.« Lamar lächelte erneut und schlenderte zur Tür. Er ging hinaus, und sie hörten, wie er sie von außen verriegelte.
    »Das ist das erste Mal, dass er das Licht anlässt«, sagte Jose.
    Sie war wie der Blitz bei dem Jungen. Im Licht untersuchte sie seine Fesseln und sah sich verzweifelt nach etwas um, womit man sie aufbrechen konnte. »Wo bewahrt er die Schlüssel auf?«
    »Ich weiß es nicht.« Sein Tonfall und seine Miene waren stoisch, aber aus seinen geschwollenen Augen liefen Tränen und aus seiner Nase dicke Bäche Schnodder.
    Vielleicht in den Kisten da … Sie durchquerte den Raum, klappte den Pappdeckel eines Kartons auf und zog das Fotoalbum heraus, das obenauflag. Sie öffnete den schweren Deckel. Vor ihr weitere grauenhafte Fotos, wieder ein anderer Junge, an die Wand gekettet, wo Jose jetzt stand. Es war entsetzlicher, als ihr Verstand verarbeiten konnte. Sie schlug es zu. Wenn so etwas mit Jose geschah, dann nicht, weil sie nichts versucht hätte. Sie würde auf keinen Fall stillhalten und zusehen.
    Unter dem Album waren weitere gestapelt. Sie wusste, eins davon enthielt Fotos von Jonathan. Aber in dieser Kiste waren keine Schlüssel, nichts, was sie brauchen konnte. Sie warf das Album in den Karton zurück, klappte ihn zu und öffnete den
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