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Die Farbe Der Leere

Die Farbe Der Leere

Titel: Die Farbe Der Leere
Autoren: Cynthia Webb
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Kleine, der weinte und versuchte sie wegzuziehen.«
    »Was noch?«
    Malone entwand sich seinem Griff, trat zurück und schaute beiseite. Er ließ sie los.
    »Sie rief die ganze Zeit den Namen Seth.«

25
    Niemand von Lamars Familie kam zu seiner Beerdigung, nicht mal Sherry.
    Katherine ging hin, weil es ihr leidtat. Nicht das, was sie getan hatte, um Jose zu retten. Worum es ihr leidtat, das waren all die toten Jungen, die nur so kurz gelebt hatten, und Lamar, der so lange mit dem dunklen Schmerz gelebt hatte. Sie kannte diesen dunklen Schmerz seit der ersten Nacht, in der ihr Vater in ihr Bett gekommen war.
    Lamar war ein trauriges, kränkliches Kind gewesen, als sie ihn das erste Mal auf der Wartebank des Gerichts sah. Einer von einem Dutzend Fällen an jenem Tag, und bei weitem nicht der herzzerreißendste.
    Aber sie war für ihn verantwortlich gewesen, für diesen Jungen, und alles, was sie getan und was sie unterlassen hatte, hatte Lamar durch die Dunkelheit begleitet und aus ihm dieses Ungeheuer gemacht.
    Nur um Jose zu retten, hatte sie ihm den kalten Stahl der Messerklinge durch die Kehle gezogen. Aber als das Blut aus seinem Hals sprudelte und er vor ihr zusammenbrach, war die Dunkelheit in ihm noch lebendig, und auch in ihr.
    Da überwältigten sie Zorn und Verzweiflung, und sie hob das Messer und stach auf ihn ein, wieder und wieder und wieder, bis Jose ihren Arm packte.
    »Das reicht jetzt«, hatte er gesagt und wesentlich älter geklungen, als er war.
    Sie hatte das Messer fallen lassen und war auf dem Boden zusammengesackt. Jose nahm sie in die Arme und wiegte sie, während sie schluchzte.
    »Ich krieg es nicht tot«, weinte sie, und Jose murmelte ihr tröstende Worte ins Ohr.
    Tief beschämt hatte sie irgendwann sanft den nackten, blutenden Jungen von sich geschoben. Sie sollte es sein, die ihn tröstete, nicht umgekehrt.
    Dan, Malone, Russo und Katherine waren die einzigen Zeugen, als Lamars Sarg in der Erde versenkt wurde.
    Kein Verwandter aus dem Süden hatte sich je gemeldet, geschweige denn Ansprüche auf Jonathans Leichnam geltend gemacht. Mit Hilfe von Annie und Diane organisierte Katherine eine kleine Trauerfeier.
    Am Morgen der Feier fuhr Dan sie zum Jugendheim. Die Straße vor dem Haus war restlos zugeparkt, das Haus selbst völlig überfüllt mit Menschen.
    Die Lehrer von Jonathans Schule waren gekommen, sogar die Ehrfurcht gebietende Direktorin. Auch eine stattliche Anzahl Schüler, leicht zu erkennen an ihren gebügelten hellbraunen Hosen, Button-down-Hemden und Krawatten.
    Eine Abordnung des Zendo war da, würdevolle junge Männer und Frauen mit kahlrasierten Köpfen in langen Roben. Ein junger Kerl mit rasiertem Kopf und Tattoos auf so gut wie jedem sichtbaren Zentimeter seiner Haut sprach mit Verehrung von Jonathan.
    Eine junge Mutter aus der Nachbarschaft hatte ihren achtjährigen Sohn dabei, dem Jonathan Nachhilfe gegeben hatte. Und natürlich waren die Jungs da, standen ungeschickt und betreten herum in ihren abgewetzten Jeans, sackartigen T-Shirts und Baseballkappen.
    Hester sprach über den Jonathan, den sie gekannt hatte, und sang das Herz-Sutra, das er so geliebt hatte. Form ist Leere und Leere ist Form. Katherine verstand es immer noch nicht, aber sie sagte es sich jeden Morgen vor, seit Jose ihr erzählt hatte, dass Jonathan das zu tun pflegte. Manchmal, dachte sie, muss man etwas tun, auch wenn es keinen Sinn ergibt.
    Ein ernster Privatschüler trat vor und erklärte, was Jonathan ihm selbst und anderen in seinen Kursen bedeutet hatte. Die Schüler hatten für eine Jugendheim-Bibliothek zu Jonathans Andenken gesammelt und überreichten Mr. Jackson das Geld.
    Jose stand auf, noch immer dünn und unsicher, hinkte auf seinen verdrehten Beinen nach vorn und sprach darüber, was er beim Zusammenleben mit Jonathan gelernt hatte und wie sehr er im Nachhinein bereute, nie eingegriffen zu haben, wenn Jonathan gemobbt und schikaniert wurde. Katherine hatte Jose diese Rede viele Male üben hören.
    Dann traten einige Jungs aus dem Heim nach vorn. Weniger wohlgesetzt, aber aufrichtig trugen sie vor, wer Jonathan für sie gewesen war. »Die Sache ist die«, sagte ein Junge, »jetzt ist er weg, und mir tut's leid. Das Beste wär, ich könnt zurückgehen und ihm das sagen. Aber damals hab ich ja nicht gewusst, dass er sterben würde.«
    Anschließend wurde gegessen. Diane und Annie hatten für ein üppiges Buffet gesorgt, was Katherine nie in den Sinn gekommen wäre. Es gab gebackenes
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