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Die Farbe Der Leere

Die Farbe Der Leere

Titel: Die Farbe Der Leere
Autoren: Cynthia Webb
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von Fat City aufzog. Sie schlängelte sich zu ihnen durch, ließ sich neben Annie auf die rissige rote Lederbank fallen und sagte: »Tut mir leid. Ich kam nicht eher weg.«
    Niemand machte sich die Mühe, nachzuhaken. Kein Mensch, der bei Verstand war, würde freiwillig im Fallaufnahmebüro sitzen bleiben, wenn er zum Lunch gehen konnte. Diane wandte sich Katherine zu. »Ich erzähl Annie gerade, dass ich heute früh einen Fall hatte, wo die Beklagte Mutter von sieben Kindern ist.«
    Es gab eine kurze Stille, in der Annie und Katherine mit Blicken ausfochten, wer heute an der Reihe war, Dianes Bälle zu retournieren.
    Es war Annie, die aufgab und die erwartete Phrase sprach. »Und das Besondere daran ist …?«
    »Die Mutter ist dreiundzwanzig.«
    Alma, die Kellnerin, ließ einen Teller mit einem Burger vor Annie auf den Tisch gleiten, dann setzte sie genauso einen vor Katherine ab und Rührei mit Bratkartoffeln vor Diane. Die hatte es schon lange aufgegeben, Alma davon abzubringen, ihr diese bleichen Kartoffelwürfel mit fast rohen Zwiebelstückchen und Pfeffer vorzusetzen, die sie hier Bratkartoffeln nannten. (»Die einzig akzeptablen Beilagen zu Eiern sind Polenta oder Brötchen. Vielleicht noch sehr krosse Röstkartoffeln. Aber nicht so was.«)
    Katherine nahm ihren fetttriefenden Burger in Angriff und merkte, wie hungrig sie war. »Habt ihr für mich mitbestellt?«
    Die beiden Frauen schüttelten die Köpfe.
    »Hat Alma sich gedacht, wenn ihr zwei hier seid, komm ich auch?«
    »Scheint so«, sagte Annie.
    Diane ergriff wieder das Wort. »Ich hab noch einen: Warum ist die einzige Droge, die die Beklagten nicht nehmen mögen, die Antibabypille?« Die Vierzigjährige, die mit ihrem kaffeedunklen Teint und der hochgewachsenen schlanken Figur eher nach dreißig aussah, war Katherines und Annies Vorgesetzte. In einer Etagenwohnung in Washington Heights zog sie ihre zwei Nichten groß. Von deren leiblicher Mutter, Dianes Schwester, war nur bekannt, dass sie in Detroit auf der Straße lebte. Einen Vater oder Väter gab es nicht.
    Diane und Katherine hatten dem zarten Geschöpf namens Annie zunächst Vorbehalte entgegengebracht. Doch sie fügte sich nahtlos in die kollegiale Freundschaft der beiden älteren Frauen. Von ihrem Privatleben wussten sie nur, dass sie nach einer Kommilitonenehe geschieden war. Da sie nicht darüber sprach, gingen sowohl Katherine als auch Diane davon aus, dass es schlimm gewesen war.
    Auf Dianes Spruch hin bemerkte Annie nachdenklich: »Vor gar nicht langer Zeit setzten die meisten meiner Freundinnen alles daran, bloß nicht schwanger zu werden. Und jetzt kommt es mir vor, als ob fast alle, die ich kenne, verzweifelt versuchen, einen Braten in die Röhre zu kriegen.«
    Katherine nickte. Die Epidemie der Fortpflanzungsbesessenheit grassierte auch unter Frauen ihres Alters. Sie selbst hatte nie über ihre Ehe gesprochen, als sie noch mit Barry zusammengelebt hatte, und sah keinen Grund, jetzt damit anzufangen.
    Annie fuhr fort: »Sie essen nur noch Körnerfutter und biodynamisches Gemüse …«
    »Das ist schon der erste Fehler«, warf Diane ein.
    »… und machen Fruchtbarkeitstherapien und empfangen trotzdem nicht, wohingegen …« Sie brach ab, und Katherine und Diane warfen sich einen kurzen Blick zu.
    »Wohingegen die Beklagten bei einer Diät aus Chips, Pepsi und Crack jedes Jahr ein Baby werfen«, beendete Diane den Satz für Annie. Die wurde rot, ein fleckiges Rosa, das vom Unterkiefer aufwärts wanderte und die Wangen überzog. Wenn es darum ging, Witze über das Elend zu reißen, das sie tagtäglich zu sehen bekamen, war Annie immer noch zartbesaitet, was Katherine und Diane nachhaltig amüsierte.
    Katherine wischte mit der billigen dünnen Papierserviette vergeblich an ihren schmierigen Händen herum. »Was ich gern mal wüsste: Warum ist die Abbrecherquote bei der Suchtakupunktur bloß so hoch? Da spritzen sie sich jahrelang in wer weiß wie schmuddeligen Löchern wer weiß was in die Venen, und jetzt, ganz plötzlich, haben sie auf einmal Angst vor Nadeln?«
    Dann gab Katherine die Geschichte von Mrs. Jones und den Handschellen zum Besten, und erwartungsgemäß fand Diane sie zum Brüllen komisch. Als das Gelächter der Frauen nachließ, fügte sie noch hinzu: »Das nächste Mal trifft sie auf ein Kind voller Zigarettenverbrennungen und beschlagnahmt die Kippen«, und Diane und Katherine prusteten wieder los.
    Katherine hatte Annie am Ende ihrer ersten Woche gesagt: »Wenn du
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