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Die Familie ohne Namen

Die Familie ohne Namen

Titel: Die Familie ohne Namen
Autoren: Jules Verne
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Verachtung, mit dem Geschrei nach Rache antworten?«
    Ja, der durch die Erinnerung an den Verräther neu aufgestachelte Widerwillen ging so weit, daß einer der Tollsten ausrief:
    »Wir werden niemals dulden, daß die Frau und der Sohn des Simon Morgaz durch ihre Gegenwart das Lager der Patrioten beschimpfen!
    – Nein! Nein!… stimmten Andere zu, welche sich vom Zorne hinreißen ließen.
    – Ihr Elenden!« rief Clary.
    Bridget hatte sich aufgerichtet.
    »Mein Sohn, bat sie, verzeihe ihnen!… Wir haben nicht das Recht, Verzeihung zu verweigern!
    – Verzeihen! rief Johann in der Erregung, welche sein ganzes Wesen gegen diese Ungerechtigkeit sich aufbäumen machte. Denen verzeihen, die uns die Verantwortlichkeit zuwälzen für ein Verbrechen, das nicht das unsere ist, und trotz Allem, was wir gethan, jenes zu sühnen. Denen verzeihen, welche den Verrath noch in der Gattin Desjenigen verfolgen, der ihn beging, in dessen Söhnen, von denen schon Einer sein Blut für sie hingegeben und der Andere nur danach verlangt, es für sie verspritzen zu dürfen! Nein!… Nimmermehr!… Wir, wir wollen nicht mehr vereint bleiben mit diesen Patrioten, welche sich durch unsere Anwesenheit beschimpft nennen!… Komm’ Mutter, komm’!
    – Mein Sohn, sagte Bridget, Du mußt leiden lernen!… Das ist unsere Aufgabe hienieden… das ist die Sühne!…
    – Johann!« flüsterte Clary.
    Noch hörte man zuweilen einige Rufe – dann wurde Alles still. Die Reihen hatten sich vor Bridget und ihrem Sohne geöffnet. Beide begaben sich nach dem Ufer zu.
    Bridget fehlte fast die Kraft, selbst einen Schritt zu thun. Dieser entsetzliche Auftritt hatte sie gelähmt, vernichtet. Clary unterstützte sie mit Hilfe Lionels, konnte sie aber nicht trösten.
    Während Vincent Hodge, Clerc und Farran noch inmitten der Volksmenge standen, um diese zu beruhigen, war Herr de Vaudreuil seiner Tochter nachgefolgt. Wie sie, fühlte auch er sein Herz sich empören gegen dieses Uebermaß von Ungerechtigkeit, gegen die Greuelthaten dieser Verblendeten, welche die menschliche Verantwortung bis über alle Grenzen trieben. Für ihn, wie für sie, erlosch die Vergangenheit des Vaters vor der leuchtenden Vergangenheit der Söhne. Und als Bridget und Johann eines der Boote erreicht, welche die Verbindung mit Schlosser aufrecht erhielten, sagte er:
    »Ihre Hand, Frau Bridget!… Ihre Hand, Johann! Erinnern Sie sich nicht der tödtlichen Beleidigungen, welche jene Unseligen Ihnen angethan haben… Diese werden noch erkennen, daß Sie über deren Schmähungen erhaben dastehen!… Sie werden schon eines Tages selbst kommen, Sie um Verzeihung zu bitten…
    – Niemals! rief Johann, bereit in das Boot zu steigen, das zum Abstoßen vom Ufer fertig war.
    – Wohin denken Sie zu gehen? fragte Clary.
    – Dahin, wo wir nicht mehr zu fürchten brauchen, daß die Menschen uns zur Zielscheibe ihrer Beleidigungen machen!
    – Frau Bridget, wandte sich das junge Mädchen an diese noch so laut, daß Alle es verstehen mußten, ich achte und liebe Sie wie eine Mutter! Vor wenig Minuten nur, als ich noch glauben mußte, daß Ihr Sohn nicht mehr unter den Lebenden wandle, hab’ ich geschworen, dem Andenken Desjenigen treu zu bleiben, dem ich mein Leben weihen wollte!… Johann, ich liebe Dich!… Kannst Du von mir gehen?…«
    Blaß vor tiefer innerer Erregung wäre Johann bald dem jungen Mädchen zu Füßen gesunken.
    »Clary, sagte er, Sie bereiten mir eben die einzige Herzensfreude, die ich empfunden, seit ich dieses elende Leben führe. Und doch, Sie haben es selbst gesehen, nichts vermag den Abscheu zu bannen, den mein Name den Bethörten einflößt, und diesen Abscheu dürfen Sie niemals mit mir zu theilen haben!
    – Nein, fügte Bridget hinzu, das Weib eines Morgaz darf Clary de Vaudreuil niemals werden!
    – Komm’ Mutter, komm’!« bat Johann.
    Bridget mit sich fortziehend, brachte er diese in das Boot, welches sich allmählich entfernte, während der Name des Verräthers noch immer aus hundert Kehlen schallte.
    – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
    Am folgenden Tage vernahm Johann, in einer vereinzelten Hütte außerhalb des Dorfes Schlosser, wohin er seine Mutter gebracht, neben dieser knieend ihre letzten Worte.
    Niemand wußte, daß diese Hütte die Gattin und den Sohn Simon Morgaz’ verbarg. Uebrigens sollte das nicht lange währen.
    Bridget lag im Sterben. Binnen wenigen Stunden sollte ein
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