Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Falschmünzer vom Mäuseweg

Die Falschmünzer vom Mäuseweg

Titel: Die Falschmünzer vom Mäuseweg
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
über zwei, drei Erhebungen.
    Klößchen schrie: »Uiiiiihhhhh!
Mein Steiß!«
    Karl schrie: »Bahn frei!«,
obwohl sich auf dem oberen Teil des AFFENZAHNS keine Menschenseele aufhielt.

    Gehüllt in eine wirbelnde
Schneewolke verschwanden sie hinter der nächsten Kurve.
    »Es dämmert schon«, meinte
Gaby. Sie zog den Reißverschluss bis zum Kinn zu und die Mütze über den Pony.
    Mit einem Seitenblick stellte
Tarzan fest, dass das Blau ihrer Kornblumenaugen viel leuchtender war als das
Blau der immerhin sehr schicken Mütze.
    »Die Tage werden immer kürzer«,
nickte er. »Aber nur noch drei Wochen, dann geht’s wieder aufwärts.«
    »Erst mal geht’s abwärts.« Gaby
setzte sich auf den Schlitten und nahm die Holme zwischen die schlanken
Schenkel.
    Tarzan nahm hinter ihr Platz.
Mit einer Hand hielt er sich am Seitenholm fest, mit dem freien Arm umschlang
er das Mädchen. Unangenehm war ihm das durchaus nicht, obwohl er das niemals
zugegeben hätte. Tuchfühlung beim Rodeln war ja selbstverständlich; und dass
Gaby auf besondere Weise verankert werden musste — das natürlich auch. Sonst
wäre es schief gegangen bei den weiten Sprüngen über die huckelige Bahn. Der
Schlitten hätte Gaby abgeworfen wie ein bockender Gaul seine Reiterin.
    Sie sausten los. Sie lehnten
sich nach hinten. Der eisige Fahrtwind biss ins Gesicht. Auf dem ersten steilen
Stück wurde die Geschwindigkeit toll, war höher als bei Klößchen und Karl.
    Tarzan bremste nicht. Sie
lenkten, indem sie das Gewicht verlagerten und sich in die Kurve legten und die
Holme zusammendrückten, was freilich nur Tarzan konnte, denn dazu gehört enorme
Kraft in den Beinen.
    Sie preschten hinunter, machten
weite Sprünge, schrien sich zu, wie toll das sei, aber der Wind riss ihnen die
Worte von den Lippen.
    Hinter der dritten Kurve hätte
es sie beinahe erwischt. Der Schlitten kippte schon. Aber Tarzan bog sich zur
anderen Seite. Gaby, an ihn gepresst, folgte der Bewegung. Der Schlitten fiel
auf die Kufe zurück und weiter ging die rasende Fahrt.
    Auf der zweiten Hälfte war es
angebracht. Bahn-frei! zu schreien, denn andere Rodler — aus Dengenbach oder
sonstwoher — bevölkerten den AFFENZAHN. Sie wichen aus. Einige so schnell, dass
sie in den Schnee purzelten. Ein junger Mann ließ vor Schreck seinen Schlitten
los. Gemächlich, aber dann immer schneller, glitt das herrenlose Gefährt den
AFFENZAHN hinunter, der an dieser Stelle recht breit war.
    »Ich rutsche!«, rief Gaby — und
war tatsächlich ein Stück nach vorn gerutscht.
    Tarzan zog sie zurück, wobei er
fast das Gleichgewicht einbüßte.
    Es war ein Mordsspaß. Nach
langer, herrlicher Fahrt lag der AFFENZAHN hinter ihnen. Als die Bahn ins Flache
auslief, sausten sie in eine Schneewehe — absichtlich. Unter Schnee begraben,
wurden sie geduscht und gepudert zugleich. Lachend kämpften sie sich heraus.
Gegenseitig klopften sie sich ab. Karl und Klößchen, die ebenfalls gut gelandet
waren, hatten schon den Schnee abgeschüttelt.
    »Du hast vielleicht einen
Griff«, sagte Gaby und massierte sich die Schulter. »Ich kam mir vor wie in
einem Schraubstock. Kein bisschen Zartgefühl...«
    Aber das war nicht ernst
gemeint. Noch während sie das sagte, blinzelte sie ihn durch ihre langen
Wimpern an.
    Tarzan, sonst nie um eine
Antwort verlegen, wusste nicht, was er sagen sollte. Denn dass er sich Gaby
gegenüber immer um sehr viel Zartgefühl bemühte, brauchte niemand zu wissen —
am allerwenigsten sie.
    Er spürte, dass er rot wurde,
und sagte rasch: »Aber mach mich nicht für die anderen blauen Flecken
verantwortlich. Das war der Schlitten.«
    Jetzt wurde Gaby rot.
    Karl und Klößchen grinsten.
    Dann ließ Klößchen den Kiefer
wie ausgehakt hängen. Entsetzen überzog sein freundliches Mondgesicht.
    »Die Schokolade! Ich habe meine
Schokolade verloren.«
    Herzlos sagte Tarzan: »Ich
glaube, ich habe sie gesehen. Sie liegt ganz oben. Muss dir gleich nach dem
Start aus deinen Vorratstaschen gefallen sein. Wenn du Hunger hast — hol sie
dir doch! Aber beeil dich. Die S-Bahn wartet nicht.«
    »So ein Mist!« Klößchen
stampfte in den Schnee. »Ich habe fürchterlichen Hunger. Besonders bei dieser
Kälte.«
    Alle lachten. Mitleid hatte
keiner. Klößchens Verfressenheit war bekannt. Hungern täte ihm gut. Aber schon
der Gedanke brachte ihn an den Rand einer Ohnmacht.
    »Vielleicht kriege ich
unterwegs was«, meinte er und zog seine Handschuhe an.
    Sie nahmen die Schlitten und
marschierten gen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher