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Die facebook-Falle

Die facebook-Falle

Titel: Die facebook-Falle
Autoren: Sascha Adamek
Vom Netzwerk:
eigenen Internet werden wollte – und grandios scheiterte. Facebook geht jedoch völlig anders vor und hat dabei einen entscheidenden Vorteil: Das Netzwerk lebt
vom archaischen Wunsch des Menschen, nicht einsam zu sein. Je mehr Menschen auf Facebook vernetzt sind, desto schneller verlieren andere, noch Unvernetzte die Nerven und schließen sich an, um bloß nicht auf der Strecke zu bleiben.
    Gleichzeitig rechnet das Unternehmen auf filigrane Weise mit den Gesetzmäßigkeiten realer menschlicher Netzwerke und stellt sie zugleich auf den Kopf. In den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wollte der amerikanische Psychologe Stanley Milgram herausfinden, wie viele Kommunikations-»Schritte« wir benötigen, um uns mit jedem beliebigen Erdenbürger in Verbindung zu setzen. 278 Dazu überreichte er mehreren hundert Menschen im US-Bundesstaat Nebraska einen Brief, der sich an einen Geschäftsmann im 1500 Kilometer entfernten Boston richtete. Die Probanden kannten weder eine Adresse, noch durften sie den Brief einfach zur Post bringen. Sie sollten sich Gedanken machen, wer der nächste Mensch sein könnte, der jemanden kennt, der jemanden kennt und so weiter, um schließlich bei dem Bostoner Geschäftsmann zu landen. Milgrams Ergebnis war erstaunlich: Im Schnitt brauchten die Versuchspersonen nur sechs Schritte, um den Brief zu dem Unbekannten zu befördern.
    Das gleiche Experiment wiederholten der Soziologe Duncan Watts und seine Kollegen vier Jahrzehnte später. Diesmal sollten 98 000 Probanden aus den USA E-Mails an Zielpersonen in aller Welt versenden. Jede Versuchsperson loste 18 Zielpersonen aus 13 Ländern aus, darunter Menschen unterschiedlichster Berufsgruppen: der Leiter eines Archivs aus Estland, ein indischer Technologieberater, ein
australischer Polizist und ein Tierarzt, der bei der norwegischen Armee angestellt war. Wieder waren im Schnitt nur sechs Schritte notwendig, um mit diesen zwar nicht prominenten, aber außergewöhnlichen Menschen in Kontakt zu treten.
    Facebook ermöglicht uns heute, mit jedem Menschen auf der Welt in nur einem einzigen Schritt in Kontakt zu treten, zumindest dann, wenn der Betreffende ebenfalls zur Gemeinschaft gehört. Die wissenschaftlichen Nachfolger Milgrams müssen jedenfalls keine globalen Experimente mehr veranstalten – die haben Mark Zuckerberg und seine Kollegen längst überflüssig gemacht. Dieser Quantensprung ist ebenso faszinierend wie monströs, denn am Ende könnte das Internet Facebook heißen.
    Facebook wird zum globalen Profiler des Homo sapiens
    Das Netzwerk interessiert sich, wie gesagt, nicht für die Datensätze einzelner Menschen. Die dürften, jeder für sich genommen, belanglos sein. Es geht um die Summe aller Daten, Namen und sozialen Beziehungen, die Facebook global zusammenträgt. Die Forscher Christakis und Fowler bezeichnen reale soziale Netzwerke als »Überorganismen mit einer ganz eigenen Anatomie und Physiognomie« und vergleichen sie mit der Organisation von Ameisenhaufen: »Soziale Netzwerke zeichnen sich durch eine Intelligenz aus, die die Intelligenz des Einzelnen ergänzt oder transzendiert. « 279 Sie entwickelten sogar ein Erinnerungsvermögen: »Soziale Netzwerke haben ein Gedächtnis. Sie erinnern
sich an ihre Struktur und an ihre Funktion, das heißt, ihre Form und Kultur bleiben erhalten, obwohl die Individuen ausgetauscht werden.« Das Netzwerk als Summe aller seiner Teilnehmer wird zu einem eigenen Organismus, der auch überlebt, wenn der eine oder andere Teilnehmer ausfällt.
    Facebook ist in dieser Hinsicht ein bereits heute perfekter »Überorganismus«. Wir sind das Netzwerk, zugleich erinnert sich das Netzwerk mit seinen 40 000 weltweiten Datenspeichern an uns und an alles, was wir dort an Spuren hinterlassen haben. Facebook bietet uns nicht nur diverse Räume an, in denen wir uns bewegen, sprich: miteinander kommunizieren können. Es verfolgt auch all diese Bewegungen, es lauscht unseren Gesprächen, unserem Liebesgeflüster im Chat, unseren Hinweisen auf den Pinnwänden unserer Freunde, unseren beruflichen Nachrichten, und es registriert, was uns gefällt oder missfällt. Und selbst wenn wir den digitalen Raum verlassen und uns auf das kalte Pflaster der Außenwelt begeben, bleibt das Netzwerk mit unseren Smartphones verbunden, wenn wir möchten, und verfolgt per GPS, wo wir einkaufen, speisen oder uns amüsieren. Facebook wird damit zum bestinformierten globalen Profiler des Homo sapiens als gesellschaftlichem Wesen.
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