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Die facebook-Falle

Die facebook-Falle

Titel: Die facebook-Falle
Autoren: Sascha Adamek
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›innere Leere‹. Vielleicht war sie schon vor Facebook da, aber ich habe sie nicht bemerkt.« – »Facebook war meine ZEITUNG! Jetzt bin ich nicht mehr auf dem Laufenden.« Eine Frau ist erschrocken, als sie per Telefon erfährt, dass ihre Freundin bereits seit zehn Tagen im Krankenhaus liegt. Die hatte das nur per Facebook mitgeteilt. Eine andere Teilnehmerin verpasste beinahe eine Party und musste sich dafür von ihren Freunden am Telefon hämische Kritik anhören, sie sei doch selber schuld, wenn sie nicht mehr bei Facebook sei. Mit diesem sozialen Druck hatten viele vorher nicht gerechnet, wie eine 27-Jährige schreibt: »Es ist unglaublich. Meine Facebookless-Zeit schlägt riesige Wellen. Freunde aus New York kontaktieren mich sogar und wollen wissen, ob ich mich unflätig verhalten habe, dass ich von Facebook gesperrt wurde.«
    Die Ergebnisse des Schweizer Experiments sind zwar nicht repräsentativ, geben aber doch eindeutige Hinweise auf den starken Einfluss, den Facebook auf das Leben seiner Nutzer ausübt. Sind wir online, folgen wir damit einer schleichenden Sucht und dem sozialen Druck. Dafür spricht auch, dass im Nachhinein fast alle Teilnehmer einräumten, sie seien während ihrer Abstinenz entspannter, ausgeglichener gewesen. Viele gaben auch an, ihre Zeit im realen Leben intensiver verbracht zu haben als zuvor und Facebook nun weniger zu nutzen. 270
    Wir können weder einsam noch gemeinsam sein
    Alles deutet darauf hin, dass, wer Facebook abschaltet, die Chance hat, intensiver zu leben, zu lieben und realen Freundschaften einen größeren Stellenwert einzuräumen. Denn um all das geht es dem globalen Konzern am wenigsten. Facebook benötigt uns »Freunde« lediglich als digitales Futter für die kommerzielle Verwertung unserer Interessen. Die soziale Orientierungslosigkeit ganzer Generationen spielt dem Unternehmen dabei in die Hände. Im Zeitalter der Konsumindustrie haben wir verlernt, allein zu sein, was an sich schon schlimm genug wäre, hätten wir nicht gleichzeitig auch verlernt, gemeinsam zu sein. Schon vor dreißig Jahren beschrieben die Soziologen Richard Sennett und Michel Foucault, warum dieses »Nie Ankommen« des modernen Menschen gerade im modernen Kapitalismus so gut funktioniert: »Wenn ein menschliches Wesen nicht ganz gut allein sein kann, kann es nicht mit anderen zusammen sein.« 271 Weil wir verlernt haben, Zeit mit uns allein zu verbringen, sind wir nicht mehr in der Lage, den Wert von Geselligkeit zu schätzen. Beides geht verloren, und in einer fragmentierten Gesellschaft, in der jeder seiner Wege geht, fällt das nicht einmal auf. Ist dieses Einsamkeits-Geselligkeits-Problem womöglich der Grund, warum wir in der Facebook-Falle stecken?
    Im Januar 2010 interviewte der Spiegel Richard Sennett zu seiner Einschätzung der Internet-Konzerne Google und Facebook. Während er Google wegen der massenhaften Datensammlung mit der Stasi vergleicht, analysiert er zugleich die Internetkonzerne sehr kühl als technische Werkzeuge
einer unaufhaltsamen Entwicklung. Sie seien unsere Zukunft: »Per Maschine werden wir uns kennen und begegnen. Man muss die Gefahren verstehen, aber man muss auch verstehen, was die Maschinen-Kommunikation erst möglich macht, was im direkten Gegenüber nicht funktioniert hätte.« 272
    Wie die Verliebten Ines und Sören aus Berlin, wie die Frischvermählten in Maryland, weichen viele Menschen heute auf die Technik aus. Sennett sagt, wir hätten die Rituale verlernt, uns mit Fremden wohlzufühlen: »In den Städten ist der öffentliche Raum verloren gegangen, an dem die Leute miteinander umgehen.« Sennett selbst ist übrigens alles andere als ein Internetmuffel. Er sei in zahlreichen Foren und Chatrooms angemeldet, aber in Facebook sieht er keinen vielversprechenden Weg, verloren gegangene soziale Räume zurückzuerobern: »Facebook? Nie und nimmer. Das ist wirklich die schlechte Seite der Entwicklung. Vielleicht bin ich zu alt. Ich schätze Takt, Diskretion, Privatsphäre, all diese Sachen.«
    Es ist also weit mehr als die Sehnsucht nach Freundschaft, die uns in das Netzwerk des US-Unternehmens treibt. Vielen erscheint Facebook als die einzige Möglichkeit, ihre Geselligkeit ohne allzu große Mühe auszuleben. In diesem Sinne ist das Geschäftsmodell von Facebook genial und perfide zugleich: Es nutzt unser archaisches Verhalten als Katalysator für seine Expansion. Dabei greift es auf uralte Muster unseres Sozialverhaltens zurück.
    Soziale Netzwerke gab es
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