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Die facebook-Falle

Die facebook-Falle

Titel: Die facebook-Falle
Autoren: Sascha Adamek
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sich im realen Leben zugetraut hätte. »Im Chat bin ich irgendwie lockerer, frecher, man traut sich mehr, man haut auf die Kacke, tut so, als wenn einem nichts peinlich ist«, sagt Ines.
    An einem warmen Sommerabend war sie bei einer Freundin schräg gegenüber eingeladen. Es gab reichlich Bowle, aber den Kontakt mit Sören konnte sie auch nicht für einen Abend ruhen lassen. Sie setzte sich an den Laptop ihrer Freundin und chattete. Sie schrieb ihm, dass ihre Waschmaschine repariert werden müsse, weil sie undicht sei. »Na ja, daraus entspann sich ein ziemlich heißer Dialog über leckende Waschmaschinen, das ging über eineinhalb Stunden«, erzählt Ines, und ihre Augen strahlen vor Freude. Als die Party vorüber war, schlich sie sich aus dem Haus ihrer Freundin und wechselte die Straßenseite. Sie wollte auf dem Nachhauseweg nicht an Sörens Internetcafé vorbeigehen. »Oh Gott, Hauptsache, der sieht mich nicht, wenn ich nach Hause gehe«, dachte sie damals.
    An ihrer Echtzeit-Kommunikation hat sich bis heute
nichts geändert, denn die beiden haben sehr unterschiedliche Lebensrhythmen. Er schlägt sich in seinem Lokal die Nacht um die Ohren, sie arbeitet tagsüber in einem Altenpflegeheim. Wenn sie sich verabschieden, tun sie das nicht per Zettel, sondern schicken sich eine Facebook-Nachricht. »Das tue ich, wenn ich aufstehe, Sören noch schläft, dann wünsche ich ihm auf Facebook schon mal einen guten Morgen oder frage, ob er gut geschlafen hat«, erzählt Ines, »es ist ein schönes Gefühl, weil ich weiß, wir haben voneinander gehört.« Abends chatten sie häufig lange, wenn Sören arbeitet. Sören wünscht ihr dann schöne Träume, während sie schon schläft.
    Mit ihrem Online-Verhalten folgen Ines und Sören einem Trend, der ganz im Sinne des Unternehmens Facebook ist: Laut dem Marktforschungsunternehmen GFK klickten im August 2010 immerhin 27,4 Prozent aller privaten Internetnutzer in Deutschland wenigstens einmal Facebook an – sechs Mal so viele wie noch im März 2009. 262 Immer mehr Menschen verlagern auch ihre private Kommunikation ins Internet.
    Erweist uns das US-Unternehmen einen Freundschaftsdienst?
    Facebook behauptet, eine »Freunde«-Suchmaschine zu sein. »Finde Personen auf Facebook, die du kennst«, fordert uns das Unternehmen auf und verspricht: »Deine Freunde auf Facebook sind dieselben Freunde, Bekannten und Familienmitglieder, mit denen du in der realen Welt kommunizierst.
« Facebook-Chef Zuckerberg ist sich »fast sicher«, dass das Netzwerk schon bald eine Milliarde »Freunde« vereinen wird. 263
    Erweist uns der milliardenschwere US-Konzern wirklich nur einen Freundschaftsdienst? Wir sollten dafür den Begriff »Freundschaft« etwas genauer unter die Lupe nehmen. Stellen wir uns eine imaginäre Facebook-Gruppe aus lauter Philosophen vor, die sich über das Thema Freundschaft austauschen. In seinem Königsberger Arbeitszimmer sitzt Immanuel Kant ebenso vor seinem Computer wie Aristoteles auf einer Veranda in Griechenland vor seinem Laptop. Auch Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche und Michel de Montaigne sind online. Was sie im Folgenden ›posten‹, haben sie übrigens tatsächlich geschrieben. 264
    Aristoteles, Kant, Schopenhauer und Nietzsche im Chat
    »Alle Menschen brauchen Freunde«, beginnt Aristoteles die Debatte. »Bei der Vorliebe für leblose Gegenstände spricht man nicht von Freundschaft. Denn es wäre gewiss lächerlich, dem Weine Gutes zu wünschen.« Michel de Montaigne protestiert gegen diese Überhöhung der Freundschaft und erwidert: »Bei dem, was wir gewöhnlich ›Freunde‹ und ›Freundschaft‹ nennen, handelt es sich allenfalls um nähere Bekanntschaften, die bei gewissen Anlässen oder um irgendeines Vorteiles willen geknüpft wurden.« Friedrich Nietzsche hat kaum Freunde und will auch keine. Er ist ein ausgemachter Misanthrop. Aber der Frauenverächter
sieht dennoch gewisse Vorteile der Freundschaft gegenüber der, wie er schreibt, »scheußlich-gierigen Geschlechtsliebe«. Er verteidigt die Freundschaft gegen Montaigne: »Und so ist es mit der Liebe der Freunde: ohne Mahnung, ohne Rücksicht, in aller Stille fällt sie nieder und beglückt. Sie begehrt nichts für sich und gibt alles von sich.« Arthur Schopenhauer schaltet sich nun ein. Er pflichtet Montaigne bei und bestreitet überhaupt, dass es Freundschaft gebe: »Wahre echte Freundschaft setzt eine starke, rein objektive und völlig uninteressierte Teilnahme am Wohl und Wehe des anderen
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