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»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen

Titel: »Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
Autoren: Thilo Bode
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Millionen von Verbrauchern. Und dennoch erlegt ihnen die Geschäftsordnung ausdrücklich eine Verschwiegenheitspflicht auf. Der Öffentlichkeit bleibt damit vollständig verborgen, wer zum Beispiel mit welchen Argumenten dafür stritt, dass auch zusammengeklebte Fleischteile als »Schinken« verkauft werden dürfen. Zur Freude von Ministerium und Lobbyisten begründete das Verwaltungsgericht seine Klageabweisung mit dem bizarren Argument, dass »ohne die gebotene Vertraulichkeit die offene Meinungsbildung und neutrale Entscheidungsfindung beeinträchtigt« würden. Doch »offene Meinungsbildung« ist hinter verschlossenen Türen unmöglich. Völlig an der Realität vorbei geht auch die Meinung des Gerichts, in der Kommission würde eine »neutrale Entscheidungsfindung« getroffen. Weder Fleischer- noch Bauernlobbyisten noch Manager von Unilever oder bofrost sind neutrale Berater, sondern vertreten ganz bestimmte Interessen. Niemand wirft ihnen das vor, es ist ihr Job. Aber gerade deshalb muss in einer Regierungskommission ein offener und öffentlicher Streit der Meinungen und Argumente geführt werden können. Stattdessen werden gesetzlich verankerte Informationsrechte der Verbraucher durch ein »Schweigegelübde« in der Satzung einer Kommission einfach ausgehebelt. Werbung um das Vertrauen der Verbraucher sieht eindeutig anders aus.
    Daran ändern auch die täglich 50 Millionen Kundenkontakte nichts, die nach Meinung von Handelslobbyist Josef Sanktjohanser Ausdruck des Vertrauens der Verbraucher in die Ernährungswirtschaft sind. Denn viele dieser 50 Millionen Kundenkontakte, sprich Kaufentscheidungen, beruhen auf Täuschungen und sind deshalb alles andere als ein Vertrauensbeweis, sondern Beispiele für erschlichenes Vertrauen durch Irreführung. Anders formuliert: Wie viele Fruchtjoghurts, auf deren Verpackungen es viele fette Erdbeeren regnet, in denen aber gerade mal eine halbe Erdbeere verarbeitet ist, wäre Josef Sanktjohanser bereit abzuziehen von den 50 Millionen »Vertrauensbeweisen« am Tag? Und wie viele Hühnersuppen, in denen nur Hühnerfett verarbeitet ist, aber kein Stück Hühnerfleisch? Und Leberkäse ohne Leber, Heringssalat mit beigemischtem Rindfleisch und Schokopudding mit 1 Prozent Kakaoanteil? Weite Teile der Branche haben immer noch nicht begriffen, dass das Misstrauen schwinden und das Vertrauen wachsen würde, wenn auf der Hühnersuppe ohne Hühnerfleisch »Geschmacksrichtung Huhn« stünde und auf dem Erdbeerjoghurt »Gezuckerter Joghurt mit 1,9 Prozent Erdbeeranteil und Erdbeergeschmack aus Aromen«. 50 Millionen Kundenkontakte als Vertrauensbeweis zu interpretieren ist nichts anderes als »Erdbeerjoghurt« auf einen Joghurt zu schreiben, der nur 1,9 Prozent Erdbeeren enthält – mit dem Unterschied, dass sich die Lebensmittelwirtschaft damit selbst in die Tasche lügt. 50 Millionen Kundenkontakte als Vertrauensbeweis darzustellen, ist wie das Pfeifen im Walde. Denn die Branche weiß längst, dass das Vertrauen ihrer Kundschaft massiv schwindet und sich teilweise schon aufgelöst hat. Sogar beim »Lebensmittel-genießen-Vertrauen«-Event in Köln bekommen das die Top-Manager aufs Brot geschmiert. Und zwar von Jens Lönneker, Geschäftsführer des Rheingold-Instituts für qualitative Markt- und Medienanalysen. Nach der tiefenpsychologischen Befragung von 1060 Frauen und Männern über Lebensmittelskandale und kritische Berichterstattung in den Medien sagt der Psychologe seinen Gastgebern: »82 Prozent der Befragten rechnen mit eher mehr als mit weniger Skandalen in der Zukunft. Der Vertrauensbruch ist schon da.« Als Lönneker das sagt, herrscht Ruhe im Saal, die Lebensmittelmanager nehmen die Aussage scheinbar unberührt zur Kenntnis, so als hätte der Referent ein Allerwelts-Statement abgegeben und nicht das Gegenteil dessen konstatiert, was der Titel der Veranstaltung glauben machen möchte.
    Das Misstrauen, das viele Verbraucher gegenüber der Lebensmittelbranche eher diffus empfinden, ist angebracht. Viele Hersteller nehmen dieses Misstrauen durchaus wahr – und können doch nicht umschwenken. Weil sie Getriebene des Wettbewerbs sind, weil sie in der Wachstumsfalle stecken. Wie alle anderen Wirtschaftsbereiche in der Marktwirtschaft ist auch die Ernährungsbranche zum Wachstum verdammt und ganz besonders die großen, kapitalmarktgetriebenen Konzerne, deren Aktionäre Rendite erwarten. Ihr großes Problem: Der Markt, zumindest in den Industrieländern, stagniert, die
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