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»Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen

Titel: »Die Essensfälscher«. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen
Autoren: Thilo Bode
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das Kölner Verwaltungsgericht Anfang 2010. Nur elf Tage bevor beim »Lebensmittel-genießen-Vertrauen«-Event in Köln Cheflobbyist Jürgen Abraham hymnisch in den Saal rief, »wir wollen den ehrlichen Dialog mit dem Verbraucher, wir haben nichts zu verheimlichen«, stellte das Kölner Verwaltungsgericht die Heimlichtuerei der Branche über das Schutzbedürfnis des Verbrauchers. Zu befinden hatten die Richter über die Klage, die Sitzungsprotokolle der Lebensmittelbuchkommission zu veröffentlichen. Die Lebensmittelbuchkommission kennt kein normaler Verbraucher in Deutschland, geschweige denn weiß er, was diese Kommission treibt. Dabei erfüllt das obskure Gremium eine hochoffizielle Aufgabe. Die Kommission ist beim Bundesernährungs- und Verbraucherschutzministerium angesiedelt und verantwortlich für die »Bibel« der deutschen Nahrungsmittelindustrie – eben das Lebensmittelbuch. Das Buch legt in seinen »Leitsätzen« sogenannte »Verkehrsbezeichnungen« von Lebensmitteln fest. Die Leitsätze und Verkehrsbezeichnungen regeln zum Beispiel, dass »Brot« nicht gebacken werden muss, dass »Fruchtkremfüllungen« nicht aus Frucht bestehen müssen oder dass in den »Heringssalat« auch Rindfleisch gemischt werden darf. Der Leitsatz für Puddings besagt: »Schokoladenpudding und Schokoladendessert sowie gleichsinnig bezeichnete verwandte Erzeugnisse (…) enthalten mindestens 5 g Kakaopulver (…)«; »Die Mengenangaben beziehen sich auf 500 Gramm (…).« Damit ist amtlich für in Ordnung befunden, dass Schokopudding nicht mehr als 1 Prozent Kakao enthalten muss, aber immer noch Schokopudding heißen darf. Im Lebensmittelbuch stehen viele solcher fragwürdigen, absurden Leitsätze, denen gemein ist, dass sie vor allem den Herstellern nützen, nicht den Verbrauchern. Ein Leitsatz legitimiert etwa, dass »Schinkenbrot« keinen Schinken enthalten muss (»Ein Zusatz von Schinken ist nicht üblich«). Ein anderer Leitsatz sanktioniert den Verkauf von »Kartoffelsalat«, der nur zu 20 Prozent aus Kartoffeln besteht. Daran gemessen muss man froh sein, dass für Wurstsalat, wenn er mit Speiseöl und/oder Essig zubereitet wird, immerhin ein Mindestanteil von 50 Prozent Wurst vorgeschrieben ist; allerdings sinkt der Prozentsatz auf magere 25 Prozent »bei der Zubereitung mit Mayonnaise«. Ein anderer Leitsatz erlaubt die groteske Praxis, dass »Muskeln und Muskelgruppen, die aus dem Zusammenhang gelöst worden sind (…), ohne besonderen Hinweis zu größeren Schinken zusammengefügt« werden dürfen; mit anderen Worten: es ist erlaubt, auch zusammengeklebte Fleischteile als »Schinken« anzubieten, ungeachtet der Tatsache, dass sich viele Verbraucher unter Schinken ein originäres Stück Fleisch vorstellen. Man müsste lachen und die Geschichte als »Geheimkommando Kartoffelsalat« verspotten, wenn es nicht so beschämend wäre: Mit dem Segen einer ausgerechnet vom Verbraucherschutzministerium berufenen Kommission wird hier offiziell Verbrauchertäuschung und -irreführung zum Nutzen der Lebensmittelindustrie praktiziert. Denn derlei Leitsätze sind wie geschaffen für die Praxis vieler Produzenten, ihren verarbeiteten Lebensmitteln bestimmte teurere Inhaltsstoffe in möglichst geringem Anteil beizugeben und durch billigere Füll- oder Ersatzstoffe und durch den massiven Einsatz von Zusatzstoffen geschmacklich zu kompensieren. Die unausweichliche Folge: Heute haben viele Lebensmittel eine Scheinqualität: Sie scheinen viel hochwertiger, als sie tatsächlich sind. Massiver Werbeaufwand sorgt dafür, dass dieser schleichende Qualitätsverlust vom Verbraucher nicht mehr wahrgenommen werden kann. Nicht nur, dass die im Prinzip öffentlichen Leitsätze den allermeisten Verbrauchern völlig unbekannt sind; es kommt hinzu, dass die Sitzungen der Lebensmittelbuchkommission unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden und die Sitzungsprotokolle – nach der Klageabweisung durch das Kölner Verwaltungsgericht – auch weiterhin unter Verschluss bleiben. Ein ungeheuerlicher Vorgang: Da sitzen 32 von einem Ministerium ernannte Kommissionsmitglieder zusammen, darunter Lobbyisten wie der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, der Deutsche Fleischer Verband und der Bauernverband sowie die Einzelunternehmen Unilever und bofrost, aber auch die staatlich finanzierten Verbraucherzentralen, und bestimmen wie eine Art Parlament über Normen für die gesamte Lebensmittelwirtschaft mit weitreichenden Konsequenzen für
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