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Die Erziehung - Roman

Die Erziehung - Roman

Titel: Die Erziehung - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Sorgen. Ein paar Tage Ruhe, sagt der Arzt. Das reicht.« Der Gedanke , dachte Gaspard, dieser Mann könnte überleben, hat etwas Groteskes. Wie lange noch? Es kam ihm vor, als hätte er eine Leiche vor sich, und er betrachtete den Baron neugierig. »Lassen Sie einen Wagen vorbereiten, wir fahren morgen früh nach Paris zurück!« Der Baron entrüstete sich: »Das kommt nicht in Frage! In meinem Zustand wäre das die reinste Tollheit!« Doch Gaspard blieb ungerührt, und Raynauds Erstickungsanfall reizte ihn: »Sie haben die Hinreise überlebt, so werden Sie auch die Rückreise überleben. Dort gibt es viel kompetentere Ärzte als diese Quacksalber hier, die gerade gut genug sind, den Kühen beim Abkalben zu helfen.« Der Baron versuchte sich aufzurichten, sein Kopf erschien mit wächserner Bleichheit im Schein eines Kandelabers. »Ich werde mich nicht aus diesem Bett rühren, Unglücklicher! Die Présidente würde sich weigern, uns gehen zu lassen, außerdem muss ich mich einer Behandlung unterziehen, sehen Sie doch.« Er öffnete die Knöpfe seines Hemdes, enthüllte seine magere Brust. Die Haut war aufgeschwollen unter dem Abdruck der Zugpflaster. »Sobald ich gegangen bin, schicken Sie nach der Présidente und kündigen an, dass wir Chartres verlassen werden.« Gaspards Stimme klang unerbittlich. »Oh, wahrhaftig, Sie wollen mich umbringen, armer Narr!« Raynaud nahm Gaspards Hand und führte sie an seine Wange, rieb sie heftig und verzweifelt an seinem Bart, die Augen voller Tränen, die Mundwinkel herabhängend. »Es ist nur zu Ihrem Besten«, antwortete der Geliebte, ehe er dem Baron seine Hand entzog. »Stimmt das wirklich? Sagen Sie die Wahrheit? Oh, schwören Sie mir, dass Sie die Wahrheit sagen.« Gaspard beugte sich vor und deckte den alten Mann zu. Sein Gesicht drückte gleichzeitig Eleganz und Teilnahmslosigkeit aus. »Wollen Sie damit sagen, ich sei ein Verbrecher?«, fragte er mit ernster Stimme. Er scherte sich nicht um Raynauds Gesundheit und darum, wie sich die Reise nach Paris auf sie auswirkte. Was zählte, war, in die Hauptstadt zurückzukehren und sich dort auf die Suche nach Etienne zu begeben. Wünschte der Baron sämtliche Versprechen der Welt zu hören, seine Besorgnis vorgegaukelt zu bekommen, so konnte er das haben. Raynaud schüttelte den Kopf. »Möchten Sie lieber allein sein? In diesem Fall fahre ich morgen unter einem anderen Vorwand, aber dann ist es nicht sicher, dass wir uns wiedersehen werden. Sie wissen, wie es um Sie steht. Hier rechnen alle mit Ihrem Tod innerhalb weniger Tage. Glauben Sie mir, Sie müssen sich für Paris entscheiden.« Das Gespenst des Todes schwebte über dem Gesicht des Barons, er sah aus wie ein verhutzeltes Kind in seinen Windeln: »Wissen Sie etwas? Warum sagt man mir nichts?« Gaspard zuckte die Schultern; das Gespräch langweilte ihn, er hatte es eilig, das Zimmer zu verlassen: »Bestimmt wollen sie Sie schonen, was weiß ich? Ich fahre morgen, es steht Ihnen frei, mir zu folgen.« Voller Schrecken beim Gedanken, allein und weit weg von Paris zu sterben, dachte der Baron nicht weiter über die Richtigkeit seiner Diagnose nach, packte Gaspard an der Hüfte und versuchte ihn an sich zu ziehen, doch dieser wich zurück: »Ruhen Sie sich aus. Ich werde anweisen, dass die Koffer gepackt werden. Vergessen Sie nicht, es ist in Ihrem Interesse, nicht in meinem.« Der Baron pflichtete ihm bei, dann ließ er sich mit einem Seufzer der Unterwerfung auf die Decken zurückfallen.
    Es wäre Gaspard möglich gewesen, allein nach Paris zurückzukehren, aber er fürchtete, zu lange von Raynaud getrennt zu sein. Die Ereignisse in Chartres konnten zu Recht die Neugier der Présidente und ihrer Gäste wecken. Könnte der Baron nicht versucht sein, sich in seinem Todeskampf an Gaspard zu rächen? Durch die Entfernung lief er Gefahr, sein Monopol auf das Herz des Greises einzubüßen. Er war zu viele Risiken eingegangen, musste in Zukunft Vorsicht walten lassen. Der Baron verteidigte seine Rückkehr nach Paris hartnäckig. Es gelang ihm so gut, die Présidente einzuschüchtern, dass die fromme Alte bald dachte, es sei vielleicht besser, er sterbe in der Stadt als auf dem Land und darüber hinaus in einem ihrer Zimmer. Die Herren de Valny und d’Uzens boten ihre Begleitung an; Gaspard versicherte, dass es ihm besser gehe. Dies entsprach der Wahrheit, die vorgezogene Rückkehr gab ihm Kraft, und er traf die Vorbereitungen, ohne sich von der Wunde auf seinem Bauch oder seiner
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