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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906
Autoren: Hermann Hesse
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mit aufzulösen. Ungelesen lag der aufgeschlagene Homer neben
    mir, er hatte in dieser Todesstille keine Macht über mich.
    Ich hörte nicht, wie einer meiner Mitschüler sich leise näherte. Plötzlich
    stand er neben mir, die grüne Mütze in der Hand tragend. Er war schlank,
    schön gebaut und hatte ein blasses, feines, veränderliches Gesicht. Er hieß
    Erwin.
    Was machst du hier?
    Du siehst doch. Homer lesen.
    Er schlug das Buch mit dem Fuße zu.
    Glaub ich nicht.
    Ist mir einerlei. Warum fragst du dann?
    Aus Gewohnheit, Kamelchen. Aber du liegst im Feuchten.
    Gar nicht. Ist auch meine Sache.
    Freilich, Grobian.
    Laß mich in Ruh, sonst erinnere ich dich an den Komment.
    Wie nett! Du meinst Euern Prügelkomment vom untern Dorment? Ich
    danke!
    Ich wurde vor Scham und Ärger rot.
    Bist du eigentlich bloß da heraufgestiegen, um mich zu ärgern?
    Bist du eigentlich bloß da heraufgestiegen, um Homer zu lesen?
    Ich schwieg steif und blieb liegen. Erwin setzte sich neben mich. Lange Zeit blickten wir über den Weiher und horchten auf die kleinen Waldgeräusche.
    Die Blätter fielen langsam weiter, sonst war keine Bewegung in der engen,
    mit allen Nüancen von Braun gefärbten Landschaft. Wir Jungen vergaßen
    unsre Verstimmung und Neckerei. Nach einer langen Stille hörte ich Erwins
    veränderte und gedämpfte Stimme.
    Hier ist’s trist –!
    Wieder nach einem Schweigen fragte er:
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    Du hast gedichtet?
    Nein.
    Ehrlich?
    Nein. Wie kommst du drauf?
    Ach, ich dachte mir’s eben. Das heißt, ich weiß, daß du Gedichte machst.
    Woher weißt du’s?
    Frag nicht viel. Ich weiß eben. Oder ist’s anders?
    Nein. – Nein.
    Erwin legte sich nun auch lang zu Boden. Erlag auf dem Rücken und sah
    himmelan, ich blickte vor mich über die aufgestützten Arme. An einem Gras-
    halm kauend begann er wieder:
    Gelt, wenn wir jetzt Steine oder Muscheln
    wären und lägen dort im Wasser drunten!
    Was dann?
    Dann? Dann wären wir träg und ruhig und hätten vielerlei nicht nötig,
    als: Spazierengehen, Händelhaben, Sterngucken und so fort.
    Freilich. Aber was hätten wir davon, dort zu liegen?
    Auch nicht viel. Du bist ein Denker. Aber stell dir vor – so eine helle
    Wolke, die immer weiter reist und die Sonne auf dem Rücken hat und unter
    sich die Städte und Oberämter und Länder und Erdteile.
    Das wäre besser. Also eine Wolke.
    Oder, du – ein Schiff! Oder ein Boot. Ich hab nichts so lieb wie ein Schiff.
    Weißt du, ein Festschiff, mit Musik auf Deck, am Sonntag. Abends werden
    die farbigen Lampen an Schnüren aufgehängt und die Mädchen haben weiße
    Sonntagskleider an. Die Lampen sind alle im Wasser noch einmal zu sehen.
    Hast du so was schon gesehen?
    Mehrmals. Es ist das Allerschönste zum Ansehen, besonders wenn man
    zuhaus ist und Ferien hat.
    Ich schloß die Augen. Er sprach nicht weiter. Durch unsre Knabenseelen zog
    das laternenbeglänzte Schiff der Zukunft, bekränzt, mit Musik und Mädchen
    in weißen Sonntagskleidern.
    Als wir miteinander durch den lichten Wald zurück schritten und die lan-
    gen Dächer des Klosters sichtbar wurden, fiel uns beiden die Rückkehr in die lärmerfüllten Stuben und Spielplätze schwer. Erwin fragte noch:
    Du, hilft es dir was?
    Was denn?
    Das Dichten. – Ich meine – ist’s schön?
    Je nachdem.
    Warum tust du’s?
    Ich weiß selber nicht. Es ist so – es kommt so, wie das Pfeifen, wenn man
    alleine geht.
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    Ich hab’s nie getan. Aber gepfiffen schon oft. Das tut mir gut. Ich denke
    dann immer gleich an etwas viel Schöneres –
    Als was?
    Als alles. Als da drinnen.
    Er deutete auf die erreichte Pforte. Lachen und lautes Gespräch klang innen
    in den Gängen wider.
    Am nächsten Sonntag kam Erwin abends in das Zimmer, in welchem mein
    Pult neben acht andern Pulten stand. Er ging die Reihe der Pulte entlang, da und dort grüßend und bei Plaudernden oder Schachspielern stehen bleibend.
    Hinter meinem Platz hielt er wieder an und sah mir über die Schulter.
    Stör ich dich?
    Du bist’s? Nein. Was tust du heute abend?
    Weiß noch nicht. Wo bist du in der Ausgangszeit gewesen?
    Zu einem Kaffee eingeladen. Warum willst du’s wissen?
    Ich war am Weiher. Ich dachte, du wärst vielleicht wieder dort.
    Er nahm mich mit in seine Stube. Auf seinem Stuhl stand eine halb ausge-
    packte Wäschekiste.
    Hilf mir ein bißchen einräumen!
    Ich half gerne. Unsre Kästen standen unter Aufsicht und alle Unordnung
    darin wurde bestraft.
    Da sind zuviel Göttinger für Einen mitgekommen .
    Erwin
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