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Die Erwaehlten

Die Erwaehlten

Titel: Die Erwaehlten
Autoren: Scott Westerfeld
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zwei Nächte zuvor gespürt, sein Entsetzen, tief und besinnungslos wie ein kindlicher Albtraum.
    „Man hat sie bis an den Rand der Welt gejagt, Rex, in eine Stunde des Tages gepresst. Vom Tageslicht verfolgt, von Feuer und Zahlen, von einem Zeitalter neuer Technologien. Aus Furcht vor einer Spezies, die sie früher buchstäblich zum Frühstück verzehrt haben.“
    „So wird’s wohl gewesen sein.“
    „Ich weiß es. Ich kann es von ihnen erfühlen. Wir sind hier der Albtraum, Rex. Schlaue Menschen mit unseren Werkzeugen und Zahlen und Feuer. Kleine Affen, die eines Tages angefangen haben, sie zu jagen, und nie damit aufgehört haben. Seit sie in die geheime Stunde geflüchtet sind, mussten sie immer fürchten, dass wir eines Tages hier in der blauen Zeit hinter ihnen her sein würden, und haben es irgendwo tief drinnen sogar gewusst. Genau wie du immer weißt, dass irgendwo unter deinem Haus eine Spinne krabbelt, die hinter dir her ist.“
    Sie spürte die Gänsehaut, die Rex über den Rücken lief, und kicherte.
    „He, bleib da weg“, beschwerte er sich. „Ich spioniere deinen Albträumen auch nicht nach, Cowgirl.“
    „Freu dich drüber“, sagte sie verächtlich, dann fuhr sie fort. „Sie wussten also immer in den Tiefen ihrer Darklingseelen, dass Jessica kommen würde. Ein Flammenbringer, der in ihre letzte Zuflucht eindringt.“
    „Deshalb wollten sie sie unbedingt umbringen.“
    „Wollten?“, sagte sie leise und lächelte.
    Melissa konnte ihn über die Wüste hinweg spüren, den Hass dort draußen, kalt und unbeugsam. Er lag punktgenau und bitter wie eine Bleistiftspitze vorn auf ihrer Zunge. Kein bisschen hilflos, auch nicht dumm. In jenen Bergen wartete eine Intelligenz, geduldig und bestens präpariert. Zuerst hatte sie mit ihrer tierischen Seite blind zugeschlagen, wie es Darklinge immer taten. Aber noch war sie nicht besiegt. Für diesen Fall waren Pläne geschmiedet worden, Ersatzpläne für alle Eventualitäten. Alle dunklen und altertümlichen Geister warteten dort draußen in ständiger, paranoider Bereitschaft.
    Sie hatten sich auf diesen Tag zehntausend Jahre lang vorbereitet.
    Sie würden wiederkommen, um Jessica Day zu holen.
     
    Sie verbrachten die ganze geheime Stunde am Rand des Bottoms und warteten, ob sich die Darklinge zurücktrauen würden.
    Melissa gähnte. Bei diesem Wachdienst kam Rex’ sinnlose Vorsicht zum Einsatz, wobei sie nach der vergangenen Woche über jede Midnight froh war, die sich als langweilig erwies.
    Sie schmeckte Dess draußen an der Schlangengrube, während diese den Riss ausmaß, den Jessica verursacht hatte, um die Proportionen seiner neuen Asymmetrie auszurechnen. Dess war außerdem seit neustem auf einem Navigationstrip, betrachtete Sterne mit einem selbst gebastelten Sextanten, voller Aufregung über ein numerologisches Geheimnis, das sie vor allen anderen verbarg, indem sie ihre Gedanken in einer reinen Welt aus Winkeln und Relationen verbarg.
    Sie spürte Jonathan und Jessica drüben in Bixby, die ein bisschen zusammen flogen, und sich dann auf irgendeinem hohen Punkt niederließen, um auf die Welt hinunterzuschauen. Einfach nur glücklich, und Jessica begeistert über ihre neue Kraft. So ganz anders als jene verängstigten, fremden Geister, die sie hassten.
    Sie spürte Rex neben sich, mit seinen Fragen, die sich in seinem Kopf drehten, der mehr lesen und mehr wissen wollte. Und tief darunter das stille, freudige Wissen, dass Rex Greene der Seher war, der die Lehre von diesen seltsamen und aufregenden Tagen schreiben würde.
    Alle waren glücklich in seliger Unwissenheit, denn diese Schlacht hatte kaum angefangen.
     
    Midnight endete.
    Dess kehrte pünktlich zurück, als das Auto unter Rex und Melissa gerade ratternd zum Leben erwachte. Sie hatten den Motor des alten Fords laufen lassen – eine Maschine in der Mitternachtsstarre verbrauchte kein Benzin.
    Sie sprangen von der Haube und stiegen ein, Dess mit abwesendem Blick. Wenn sie sich in die Zahlen vertieft hatte, redete sie nicht viel, also schwiegen Rex und Melissa respektvoll.
    Melissa fuhr sie über Seitenstraßen zurück. Polizeiautos wich sie nach Gefühl aus. Am Sonntag um Mitternacht waren in Bixby nur sehr wenig Menschen wach, weshalb sie die Bullen leicht schmeckte. Ab und zu fing Melissa aber doch hier oder da einen Gedanken ein, einen schlaflosen Kummer, ein spätes Streitgespräch, eine Erschütterung durch einen Traum oder Albtraum.
    Wie soll ich diese Rechnung bloß bezahlen
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