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Die Erwaehlten

Die Erwaehlten

Titel: Die Erwaehlten
Autoren: Scott Westerfeld
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goldenen Flecken im Sonnenlicht.
    „Deine Brille“, sagte sie und hielt sie ihm hin. Auch aus der Nähe konnte er den dicken Rand kaum erkennen, aber die ausgestreckte Hand des Mädchens sah er kristallklar. Der Fokus blieb bei ihr.
    Endlich bereit, sich zu bewegen, klappte Rex den Mund zu und nahm seine Brille. Als er sie aufsetzte, stellte sich der Rest der Welt scharf, und das Mädchen verschwamm wieder. Genau so wie bei den anderen.
    „Danke“, stammelte er.
    „Schon in Ordnung.“ Sie lächelte, zuckte mit den Schultern, und sah sich in dem fast leeren Flur um. „Ich schätze, wir kommen jetzt zu spät. Ich weiß auch gar nicht, wo ich hinmuss.“
    Ihr Akzent hörte sich nach Mittelwesten an, schärfer als Rex’ gedehnter Oklahoma-Slang.
    „Nein, das war die Glocke um Viertel nach acht“, erklärte er. „Zum letzten Mal klingelt es um zwanzig nach. Wo musst du hin?“
    „Raum T-29.“ Sie hielt einen Stundenplan fest in einer Hand.
    Er zeigte hinter sich auf den Eingang. „Das ist in den Provisorien. Raus und dann rechts. Die Container, die du beim Reingehen gesehen hast.“
    Stirnrunzelnd sah sie nach draußen. „Okay“, sagte sie zögernd, als ob sie noch nie in einem Container Unterricht gehabt hätte. „Also, dann mach ich mich besser auf den Weg.“
    Er nickte. Als sie sich entfernte, setzte Rex seine Brille wieder ab, und wieder war sie schlagartig klar zu erkennen, während die übrige Welt verschwamm.
    Rex gestand sich endlich ein, dass es stimmte. Er lächelte. Noch eine, von irgendwoher, außerhalb von Bixby, Oklahoma.
    Vielleicht sollte dieses Jahr doch anders werden.
    Rex sah die Neue vor der Mittagspause noch ein paar Mal.
    Sie schloss bereits Freundschaften. An einer kleinen Schule wie Bixby hatten neue Schüler etwas Aufregendes – man wollte sie kennen lernen. Die beliebten Schüler erhoben schon Anspruch auf sie, tauschten tuschelnd aus, was sie über sie erfahren hatten, schlugen aus ihrer Freundschaft Kapital.
    Rex wusste, dass ihm die Beliebtheitsskala nicht mehr erlauben würde, sich ihr zu nähern, aber er hielt sich in der Nähe, lauschte, nutzte aus, dass er unsichtbar war. Natürlich nicht wirklich unsichtbar, aber so gut wie. Mit seinem schwarzen Hemd, den schwarzen Jeans und dem schwarz gefärbten Haar konnte er in Schatten und Winkeln verschwinden. Nur wenige Schüler an der Bixby High waren wie Timmy Hudson. Die meisten ignorierten Rex und seine Freunde lieber.
    Es kostete Rex nicht viel Zeit, um das eine oder andere über Jessica Day zu erfahren.
    In der Kantine fand er Melissa und Dess dort, wo sie immer saßen.
    Er setzte sich Melissa gegenüber, ohne ihr zu nahe zu kommen. Wie immer hatte sie die Ärmel weit nach unten gezogen, fast bis über ihre Hände, um sich vor unbeabsichtigten Berührungen zu schützen, und sie trug Kopfhörer, aus denen sich die heftig scheppernden, blechernen Akkorde wie ein unablässiges Flüstern anhörten. Melissa mochte keine Massen; jegliche Ansammlungen normaler Menschen machten sie verrückt. In einem vollen Klassenzimmer kam sie schon an ihre Grenzen. Ohne Kopfhörer fand sie das zänkische, wetteifernde Chaos in der Kantine unerträglich.
    Dess aß nichts, sie saß einfach mit gefalteten Händen da und blickte durch ihre dunkle Sonnenbrille zur Decke hoch.
    „Da sind wir wieder, und das ganze Jahre liegt vor uns“, sagte Dess. „Was kann beschissener sein?“
    Rex wollte automatisch zustimmen, aber dann zögerte er. Den ganzen Sommer lang hatte ihm vor einem neuen Jahr voller ungenießbarer Mahlzeiten gegraut, die er versteckt vor dem gleißenden Tageslicht im schummrigsten Winkel einnehmen musste. Doch zum ersten Mal fand er die Kantine der Bixby High tatsächlich aufregend.
    Das neue Mädchen saß nur ein paar Tische weiter, umringt von ihren neuen Freundinnen.
    „Kann sein, kann aber auch nicht sein“, sagte er. „Siehst du das Mädchen?“
    „Hm“, antwortete Dess, die immer noch zur Decke aufsah, wo sie vermutlich die Platten zählte.
    „Sie ist neu. Sie heißt Jessica Day“, erklärte Rex. „Sie kommt aus Chicago.“
    „Und warum sollte mich das interessieren?“, fragte Dess.
    „Sie ist vor ein paar Tagen hier hergezogen. Zehnte Klasse.“
    „Immer noch langweilig.“
    „Sie ist nicht langweilig.“
    Dess seufzte und senkte den Kopf, um durch ihre Sonnebrille zu dem neuen Mädchen hinüber zu blinzeln. Sie schnaubte verächtlich. „Erst einen Tag an der Bixby, und schon ist sie der Mittelpunkt von der
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