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Die Erwaehlten

Die Erwaehlten

Titel: Die Erwaehlten
Autoren: Scott Westerfeld
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andere Hand hektisch mit den Bernsteinperlen spielte. Gelegentlich nahm sie Korrekturen vor. Sie notierte jede einzelne auf dem Formular.
    „Diverse schwachsinnige Antworten von einem Nichtschwachsinnigen korrigiert, Seite 326“, murmelte sie. „Wer prüft diese Sachen? Ich finde, wenn sie schon für die totalen Matheanfänger die Antworten am Schluss drucken, dann könnten sie ja auch die richtigen nehmen.“
    Jessica schluckte. Dess prüfte die Antworten zu Kapitel elf, dabei hatten sie mit dem Buch noch nicht mal angefangen. „Wir haben letztes Jahr in meinem Algebrabuch auch einen Fehler gefunden.“
    „ Einen Fehler?“ Dess sah sie mit gerunzelter Stirn an.
    „Ein paar, schätze ich.“
    Dess sah wieder auf ihr Buch hinunter und schüttelte ihren Kopf. Irgendwie hatte Jessica das Gefühl, sie hätte was Falsches gesagt. Sie fragte sich, ob das vielleicht Dess’ Art war, die Neue zu schikanieren. Oder eine seltsame Art anzugeben.
    Jessica widmete sich wieder ihrem Buch. Wem das Buch auch gehört haben mochte, derjenige hatte den Kurs verlassen oder einfach das Interesse verloren. Die Seiten waren jetzt makellos. Vielleicht war der Kurs aber auch nur bis zur Mitte des Buches gekommen. Das hoffte Jessica – die letzten Seiten mit unverständlichen Formeln und Kurven auch nur durchzublättern, machte ihr schon Angst.
    Dess murmelte wieder. „Eine noble Bemerkung des großartigen Mr Sanchez, Seite 214.“ Sie kritzelte etwas in die Ecke einer Seite, womit sie das Buch beschädigte, was sie anschließend notierte.
    Jessica verdrehte die Augen.
    „Weißt du, Jess“, sagte Dess, „das Wasser in Bixby schmeckt nicht nur komisch – man träumt auch seltsam davon.“
    „Was?“
    Dess wiederholte langsam und deutlich, was sie gesagt hatte, als ob sie sich mit einer von den Schwachsinnigen über die Antworten in Lehrbüchern unterhalten würde. „Das Wasser in Bixby – man träumt seltsam davon. Ist dir das nicht aufgefallen?“ Sie sah Jessica eindringlich an, als ob sie auf eine Antwort auf die wichtigste Frage der Welt warten würde.
    Jessica blinzelte. Dess’ Spielchen gingen ihr auf die Nerven, also schüttelte sie den Kopf. „Eigentlich nicht. Nach dem Umzug und allem, da war ich zu müde zum Träumen.“
    „Echt?“
    „Echt.“
    Dess zuckte mit den Schultern und sagte für den Rest der Stunde nichts mehr.
    Jessica war für ihr Schweigen dankbar. Sie strengte sich an, Mr Sanchez zu folgen, der durch das erste Kapitel raste, als ob alle längst wüssten, worum es ging, und gleich am ersten Tag eine Aufgabe aus dem zweiten Kapitel aufgab. Jedes Jahr gab es mindestens einen Kurs auf ihrem Stundenplan, der dafür sorgte, dass Schule auch nicht aus Versehen Spaß machen konnte. Anscheinend musste das so sein. Jess war sich ziemlich sicher, dass sich die Einführung in die Trigonometrie zum Albtraum dieses Jahres entwickeln würde.
    Und zu allem Überfluss spürte sie während der ganzen Stunde, dass Dess sie im Auge behielt. Jessica fröstelte, als die Glocke zum Unterrichtsende läutete, und stürzte sich erleichtert in das laute und übermütige Gedränge auf dem Flur.
    Vielleicht waren in Oklahoma doch nicht alle so nett.
     

     

das lautlose gewitter
    12.00 Uhr Mitternacht
    3
    Jessica wachte auf, weil das Geräusch des Regens einfach … abbrach.
    Es kam ganz plötzlich. Das Geräusch ebbte nicht ab, kein nachlassendes Tröpfeln, wie sich das für Regen gehörte. Erst plätscherte die ganze Welt, es schüttete und lullte sie in den Schlaf. Dann trat auf einmal Stille ein, als ob jemand mit der Fernbedienung auf stumm geschaltet hätte.
    Jessica schlug die Augen auf. Die plötzliche Stille hallte wie eine zugeschlagene Tür.
    Sie setzte sich auf. Verwirrt blickte sie sich im Zimmer um. Sie wusste nicht, was sie geweckt hatte – es dauerte einige Sekunden, bis sie sich wenigstens erinnerte, wo sie war. Im dunklen Zimmer gab es ein Durcheinander aus vertrauten und fremden Dingen. Ihr alter Schreibtisch stand in der falschen Ecke, und an der Decke hatte jemand eine Lampe angebracht. Es gab zu viele Fenster, und sie waren größer, als sie hätten sein sollen.
    Aber dann, beim Anblick der Kartons, die sich überall stapelten, der Kleider und Bücher, die aus den halb geöffneten Schlünden hervorquollen, kehrte die Erinnerung zurück. Jessica Day und all ihre Habe waren hier Fremde, kaum angekommen, wie Pioniere in der weiten Prärie. Das hier war jetzt ihr neues Zimmer, das neue Haus der Familie. Sie
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