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Die erste Nacht - Roman

Die erste Nacht - Roman

Titel: Die erste Nacht - Roman
Autoren: Marc Levy
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Wirkung - weder auf mich noch auf die Klosterschüler. Ich habe keine Gewissheit, wie könnte ich auch? Der Fluss hat den Leichnam Ihrer Freundin nicht hergegeben, das ist alles, was ich weiß. In Anbetracht der Stromschnellen und der Tiefe des Wassers ist das auch nicht weiter verwunderlich. Entschuldigen Sie, wenn ich auf solchen Einzelheiten beharren muss, sie werden schwer für Sie zu ertragen sein, aber Sie haben mir die Frage gestellt.«
    »Und der Wagen, wurde er gefunden?«
    »Wenn Ihnen die Antwort wirklich wichtig ist, müssen Sie sich an die Behörden wenden, wovon ich Ihnen allerdings dringend abrate.«
    »Warum?«
    »Wie ich bereits sagte, haben wir Ärger bekommen, doch das scheint Sie nicht sonderlich zu interessieren.«
    »Welche Art von Ärger?«
    »Glauben Sie etwa, Ihr Unfall sei ohne Folgen geblieben? Eine Sonderkommission der Polizei hat Ermittlungen eingeleitet. Das Verschwinden eines Ausländers auf chinesischem Boden ist nicht unbedeutend, und da den Behörden unsere Klöster ein Dorn im Auge sind, bekamen wir mehrfach höchst unliebsamen Besuch. Unsere Mönche mussten brutale Verhöre über sich ergehen lassen. Wir haben zugegeben, Sie beherbergt zu haben, weil uns das Lügen verboten ist. Sie werden verstehen,
dass unseren Klosterschülern Ihre Rückkehr hierher nicht besonders angenehm ist.«
    »Keira lebt, Sie müssen mir glauben und mir helfen.«
    »Es ist Ihr Herz, das da spricht, und ich kann verstehen, dass Sie sich an diese Hoffnung klammern. Doch indem Sie sich weigern, die Realität zu akzeptieren, nähren Sie ein Leid, das Sie schließlich zerfressen wird. Wenn Ihre Freundin überlebt hätte, wäre sie irgendwo aufgetaucht, und wir hätten davon erfahren. In diesen Bergen spricht sich alles herum. Ich fürchte, der Fluss hat sie davongetragen. Es tut mir aufrichtig leid, und ich teile Ihren Schmerz. Ich verstehe jetzt, warum Sie diese Reise angetreten haben, und ich bedauere, derjenige zu sein, der Ihnen die Augen öffnen muss. Es ist schwer zu trauern, ohne einen Leichnam, den man beerdigen, ohne ein Grab, an dem man sich sammeln kann. Die Seele Ihrer Freundin ist immer bei Ihnen und wird dort bleiben, solange Sie sie lieben.«
    »Bitte ersparen Sie mir diesen Unsinn! Ich glaube weder an einen Gott noch an ein Jenseits, das besser ist als das Diesseits.«
    »Das ist Ihr gutes Recht. Aber für einen Menschen ohne Glauben halten Sie sich erstaunlich oft in den Mauern eines Klosters auf.«
    »Würde Ihr Gott existieren, wäre nichts von alledem geschehen.«
    »Wenn Sie auf mich gehört hätten, als ich Ihnen von dieser Expedition auf den Hua Shan abriet, hätten Sie dieses Drama, das Sie heute so bekümmert, vermeiden können. Da Sie nicht hier sind, um an den Meditationssitzungen teilzunehmen, ist es sinnlos, Ihren Aufenthalt zu verlängern. Ruhen Sie sich heute Nacht in unseren Mauern aus und verlassen Sie uns morgen. Ich vertreibe Sie nicht, das steht mir nicht zu, doch ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie unsere Gastfreundschaft nicht ausnützen würden.«

    »Wenn sie überlebt hat, wo könnte ich sie dann finden?«
    »Fahren Sie wieder nach Hause!«
    Der Mönch zieht sich zurück.
    Ich liege die ganze Nacht wach und suche nach einer Lösung. Dieses Foto kann nicht lügen. Während der zwölf Flugstunden von Athen nach Beijing wurde ich nicht müde, es immer wieder zu betrachten, und ich tue es noch jetzt im Schein meiner Kerze. Diese Narbe auf ihrer Stirn ist ein Beweis, von dem ich wünsche, er sei unwiderlegbar. Außerstande zu schlafen, stehe ich leise auf und schiebe die Wand aus Reispapier, die als Tür dient, zur Seite. Ein schwaches Licht führt mich, und ich schleiche durch den Gang zu dem Saal, in dem die sechs Mönche schlafen. Einer von ihnen spürt wohl meine Gegenwart, denn er dreht sich auf seinem Lager um und seufzt, zum Glück aber wacht er nicht auf. Ich setze meinen Weg fort, steige auf Zehenspitzen über die ausgestreckten Körper hinweg, um in den Hof des Klosters zu gelangen. Der Mond ist in dieser Nacht drei Viertel voll, in der Mitte ist ein Brunnen, ich setze mich auf den Rand.
    Ein Geräusch lässt mich zusammenzucken, eine Hand legt sich auf meinen Mund, um jeden Laut zu ersticken. Ich erkenne meinen Lama, er macht mir ein Zeichen, ihm zu folgen. Wir verlassen das Kloster und laufen querfeldein bis zu der großen Weide, wo er sich zu mir umdreht.
    Ich zeige ihm das Foto von Keira.
    »Wann begreifen Sie endlich, dass Sie uns alle, vor allem aber sich
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