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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte
Autoren: Amy Hempel
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gegangen und hatte meiner Mutter erzählt, dass Jack und ich nichts dergleichen täten. Meine Mutter, die nicht gefragt hatte,
ob
, hatte gesagt: »Leider.«
    Mit anderen Worten muss meine Mutter sich aufs Äußerste zusammenreißen, nicht das Licht für uns zu dimmen.
    Die Wahrheit ist – es verändert etwas in mir, ihn in meinem Zimmer zu sehen.
    Big Guy tut in einer Laune weibliche Dinge – er geht einkaufen, oder verändert etwas an seinen Haaren. Als ich also sehe, dass sein Haar auftoupiert ist und es ohne Zweifel an den Wurzeln wehtut, wo es in eine andere Richtung gebürstet wurde, gibt mir das einen Hinweis.
    Ich brauche nicht zu fragen.
    »Nicht mehr nötig, in die Antarktis zu fahren«, sagt er und lächelt ein falsches Lächeln, damit ich sehen kann, wo sein Schneidezahn diagonal abgebrochen ist.
    »Vom Eiswasser?«, sage ich.
    Big Guy sagt, dass sein Fahrrad mit einem Müllwagen zusammengestoßen ist. »Eigentlich«, sagt er, »war es kein Unfall.«
    »Und wo wir gerade von der Antarktis reden«, sagt er, um das Thema zu wechseln, »wusstest du, dass ein Eskimo niemals einen Pinguin essen würde, ganz egal, wie hungrig er ist?«
    »Warum das?«
    Big Guy, triumphierend: »Weil Eskimos am Nordpol leben und Pinguine am Südpol!«
    Dann ist er gegangen, hinunter gegangen, um mehr seltsames Essen zu essen, um sich ein Glas Fizzies zu machen, oder, wenn Fizzies nicht mehr hergestellt werden sollten, nimmt er mit nass geleckten Fingern trockenes Kool-Aid-Pulver.
    Ich sehe seine Schulbücher, die er auf meinem Schminktisch gelassen hat; ich sehe meine Chance.
    Ich lasse die Bücher links liegen und greife mir seinen Spiralblock, um dort beißende Kommentare auf den Rändern zu hinterlassen. Ich finde Handschrift, die erst nach einem Augenblick zu den Worten wird, die ich lese.
    Big Guy hat geschrieben: »Wenn wir die Krallen der Katze gestutzt hätten, bevor sie das Bettlaken zerkratzt hat? Wenn wir French Toast anstatt Eier zum Frühstück gegessen hätten? Wenn Dad nicht müde gewesen wäre, und wir ins Kino gegangen wären?«
    Die untere Hälfte der Seite ist mit tintigen abstrakten Zeichnungen gefüllt. Auf der nächsten Seite fährt er fort: »Denke ich die falschen Dinge? Sollte ich mich, stattdessen, fragen, was dich so lange aufgehalten hat?«
    Da er es dort hatte liegen lassen, schloss ich, dass er wollte, dass ich es finde.
    Big Guy nimmt mich am gleichen Tag, an dem er zum Zahnarzt geht, auf eine Party mit. Eine Stunde lang gibt es Erfrischungen, dann gehen die Lichter im Keller aus und die Platten fangen an zu spielen.
    Big Guy sagt: »Darf ich dich zu einem Tanz auffordern?«
    Ich bewege mich in seine Arme – es ist das erste Mal, dass wir tanzen – und die Hand an der schmalen Stelle meines Rückens verfängt sich, als sie über die Seide meines neuen guten Kleides gleitet. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, warum. Es ist die trockene, kantige Haut, dort, wo er die Fäden meines Namens aus der Stelle gezogen hat, an die er ihn hineingenäht hatte.
    Big Guy führt mich auf die Seite des Raumes, wo eine Schwarzlichtlampe unsere weißen Kleider purpurn färbt. Das Schwarzlicht macht noch etwas anderes, bemerke ich. Wenn Big Guy spricht, macht es seinen aufgesetzten Zahn schmuddelig grau. Ein anderes Mädchen bemerkt es; sie sagt, das sei der Grund, warum in Hollywood nie Schwarzlicht benutzt wird.
    »Kapiert?«, fragt sie.
    Das ist die Geburtsstunde der Eitelkeit für mein Date.
    Big Guy sagt, dass es Zeit zu gehen ist, und wenn ich mit ihm mitgehen möchte, kann ich. Natürlich tue ich es – es ist so ordinär, mit jemandem zu gehen, der nicht der ist, mit dem man gekommen ist!
    Um zu zeigen, dass ich genauso austeilen wie einstecken kann, sage ich: »Big Guy, komm schon, ist ja nicht so, als ob die Cubs verloren hätten.«
    Er sagt: »Sei nachsichtig mit mir«, und wir steigen in Mr. Fitchs Auto. Ich stelle den Oldie-Sender ein und singe lautlos einen Motown-Hit mit, dessen Worte auf lächerliche Weise auf Big Guys und meinen Referenzrahmen prallen. Als ich nicht mehr genug von dem Text kenne, summe ich mit dem Radio mit.
    »Wir summen«, informiert Big Guy, »weil Menschen sich aus Insekten entwickelt haben. Summen, Surren – siehst du, was ich meine?«
    Das hat er wahrscheinlich da gehört, wo er auch das mit den zerspringenden Zähnen der Antarktis her hat.
    Big Guy fährt mich nach Hause. Niemand ist da, und es würde ja auch keine Rolle spielen, wenn jemand da wäre. Ich setze mich
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