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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte
Autoren: Amy Hempel
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zu gehen. Ich wäre später mit Rasiercreme und Eiern wiedergekommen, mit Klopapier und Freunden.
    Selbst, wenn sie im Dunkeln in ihrem Zimmer gelegen hätte, war da immer noch das Auto in der Einfahrt.
    Und es gab Dinge, die sogar noch schlimmer waren als Rasiercreme und Eier. Wie wäre es mit »Kippern«? Kinder füllten eine Mülltonne mit Wasser, mit Schlimmerem als Wasser, und lehnten sie gegen die Tür, sodass man, wenn man die Tür öffnete, seine Perserteppiche flutete.
    Miss Locey hatte an all das gedacht. Sie sagte, sie fürchte, dass man ihren »Garten umgraben« würde – dass halbstarke Jungen ein Auto quer durch den Vorgarten fahren und tiefe Reifenspuren hinterlassen würden, wenn sie herumschleuderten und dann wegführen.
    Ich komme aus einer ruhigeren Gegend. Ich erzählte ihr, dass wir höchstens eine Extramaske einpackten, damit wir das gleiche Haus zweimal besuchen konnten, ein Haus, wo es Marsriegel gab, zum Beispiel. Und selbst dann, erzählte ich Miss Locey, gab es solche, die uns durchschauten. Der Mann, der Eisverkäufer war, verschenkte Sandwich-Eis, das, wenn wir zurückkamen und mehr abstauben wollten, unten in unseren Beuteln schmolz.
    Wir unterhielten uns in Miss Loceys Schlafzimmer. Es roch nach frischer Farbe; die Wände hatten einen tiefen Himbeerton.
    »Das Hustensaft-Farben-Zimmer«, sagte Miss Locey. »Es ist nie die gleiche Farbe wie auf der Farbschablone, nicht war? Jedes Mal wird es … kräftiger.«
    Miss Locey versuchte eine Tablettenflasche zu erreichen, die aber, wie sich herausstellte, außer Reichweite war. Ich bot an, sie ihr zu geben, benutzte dabei aber ich nicht ihren Namen. Sie war nur ein paar Jahre älter als ich. Aber hatte nicht gesagt, dass ich sie mit ihrem Vornamen, wie auch immer er lautete, ansprechen sollte, also benannte ich sie, wenn ich mit ihr sprach, gar nicht.
    »Ich war mir sicher, dass ich schwanger war«, sagte Miss Locey gerade. »Also verhandelte ich mit Gott: ‚Lieber Gott‘, betete ich, ‚lass mich meine Periode bekommen und ich werde für den Rest meines Lebens Sport treiben.‘ Zwei Tage später musste ich meinen Teil einhalten. Ich quälte mich also auf dieses Trimm-dich-Rad und verrenkte mir sofort den Rücken«, sagte Miss Locey.
    Als sie nach ihren Tabletten langte, – es war ein Muskelentspannungsmittel, das sie einnahm – sah ich Miss Loceys Hände. Sie trug einen Ring an jedem Finger. An manchen Fingern trug sie zwei. Nicht einfach Bänder aus Metall, sondern Steine, Ringe mit Juwelen.
    Es war die uralte Frage, die Miss Locey als Nächstes stellte. Von ihrem Schmerzlager aus fragte sie mich – wenn man nur eine halbe Tablette nahm, wirkte sie dann in voller Stärke halb so lange oder in halber Stärke für die normale Zeit?
    Ich war ein Mädchen von einer Agentur. Ich sagte, genauso stark für halb so lange, aber die Art, in der ich es sagte, gab preis, was ich dachte: Da sind Sie genauso schlau wie ich.
    »Wenn ich schwanger gewesen
wäre
, würde ich es im Dezember bekommen.«
    Der Berechnung nach musste Miss Locey fast sieben Monate lang flach liegen. War diese Frau eine Simulantin? War sie schlimmer verletzt, als sie sagte?
    Miss Locey streckte einen Zeigefinger aus, der einen ovalen Stein trug. »Der Türkis ist der Geburtsstein für den Dezember«, sagte sie. »Es ist ein mitfühlender Stein; er beschützt einen vor einem Sturz – er zerbricht stattdessen selbst.«
    Sie drehte den Ring um ihren Finger. »Der Türkis wird blass, wenn der Träger krank ist. Er verliert seine Farbe vollkommen, wenn man stirbt.«
    Ich erzählte ihr, dass ich im Perlenmonat geboren war. Aber auf dem Ring, den ich trage, ist keine Perle.
    »Das Gute ist«, sagte Miss Locey, »dass ich nicht auf eine Kostümparty muss.«
    Ich war wieder im oberen Stock, nachdem der stete Strom der Süßes-oder-Saures-Rufenden auf ältere Kinder etwa alle halbe Stunde abgeebbt war. Im Fernsehen lief, mit abgestelltem Ton, ein Horrorfilm.
    »Ein Freund von mir hat angerufen und gefragt, wo er einen Rollstuhl herbekommen könnte«, sagte Miss Locey. »Er wollte als George Wallace gehen.«
    Sie sagte: »Das ist der Bursche, der letztes Jahr so eine Enttäuschung erlebt hat. Er hatte sich einen Schlafanzug angezogen und trug eine Flasche Diät-Pepsi mit sich herum. Er wollte Brian Wilson darstellen, aber alle tippten auf Hugh Hefner.«
    Miss Locey hob ein Knie zur Brust und hielt es dort, bis sie bis zehn gezählt hatte. Ihre Fingerknöchel wurden weiß über den
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