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Die Ernte

Die Ernte

Titel: Die Ernte
Autoren: Amy Hempel
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ebenso drei Wärter und zwei »Tier-tender«-Insassen, die den anderen Gefangenen ihr Essen bringen.
    Drei weitere Wärter wurden in den Hals gestochen. Es ist eine fünfminütige Fahrt vom Gefängnis zum Marin General Krankenhaus, also wurden die verletzten Wärter dorthin gebracht. Die Leute, die sie dorthin brachten, waren drei Arten von Polizisten, darunter California Highway Patrol und schwer bewaffnete Sheriff Deputies von Marin County.
    Es wurden Polizisten mit Gewehren auf dem Krankenhausdach positioniert; sie wurden in den Gängen postiert und winkten Patienten und Besucher in ihre Zimmer zurück.
    Als man mich später an diesem Tag, von der Taille bis zum Knöchel in Verbänden, aus der Aufwachstation schob, wurde ich von drei Beamten und einem bewaffneten Sheriff gefilzt.
    An diesem Abend sendeten die Nachrichten Aufnahmen des Aufstandes. Man zeigte meinen Chirurgen, der mit Reportern sprach und mit dem Finger an seinem Hals zeigte, wie er einen der Wärter gerettet hatte, indem er einen Schnitt von Ohr zu Ohr zugenäht hatte.
    Ich sah es im Fernsehen, und weil es mein Arzt war, und weil Krankenhauspatienten ichbezogen sind, und weil ich unter Drogen stand, dachte ich, der Chirurg rede über mich. Ich dachte, er sagte: »Nun, sie ist tot. Ich verkünde es ihr, wie sie da in ihrem Bett liegt.«
    Die Psychiaterin, an die mich der Chirurg überwies, sagte, dass das Gefühl sehr verbreitet sei. Sie sagte, dass Traumaopfer, die das Trauma noch nicht assimiliert haben, oft glauben, tot zu sein, ohne davon zu wissen.
    Die großen weißen Haie in den Gewässern in der Nähe meines Zuhauses greifen ein bis sieben Menschen pro Jahr an. Ihr Primäropfer ist der Seeohrentaucher. Bei einem steigenden Seeohrensteakpreis von derzeit fünfunddreißig Dollar pro Pfund erwartet das Fischerei- und Jagdministerium kein Nachlassen der Haiangriffe.

WAS AN DIR AM MEISTEN MÄDCHEN IST
    Jack »Big Guy« Finch versucht, seine Zähne zerspringen zu lassen. Er spült sich den Mund mit Eiswasser und kippt dann sofort schluckweise heißen Kaffee.
    »Wie in der Antarktis«, sagt er. Wenn man glaubt, was Big Guy einem erzählt, dann zerspringen den Leuten dort andauernd die Zähne, wenn sie aus der Kälte herein kommen und ihren Kaffee runterschütten.
    Ich glaube, was Big Guy einem erzählt. Ich bin sein Komplize, also kaue ich auch auf dem Slusheis herum. Ich meine, wenn einem jemand so gut aussehendes sagt, was man machen soll, macht man so ziemlich genau das, was er sagt.
    Big Guy (er ist so verdammt groß!) kann einen dazu bringen, alles Mögliche zu machen. Er brachte uns dazu, Blutsbrüder zu werden – Brüder, obwohl ich ein Mädchen bin – damals als wir noch ungeschickte kleine Deppen waren, die mit Taschenmessern spielten. Er holte eine Nähnadel und wollte in unsere Finger stechen, bis ich kniff. Ich zeigte auf die wunde Stelle an seinem Ellenbogen und die Abschürfung an meinem Knie, und was wir dann tatsächlich wurden, waren Schorfbrüder.
    Aber diese Sache mit den Zähnen – ich würde sagen, Big Guy will es wissen. Er hat so etwas seit der siebten Klasse nicht mehr gemacht, als er für einen Dollar eine Zigarette gegessen hat. Wenn er sich jetzt abends die Zähne putzt, behandelt er sein Zahnfleisch wie Nagelhaut, sagt er. Er sagt, er schiebt es mit den harten Borsten der Bürste zurück und legt den Zahnschmelz frei.
    Das ist ein neuer Big Guy, eine Verblüffung für uns alle. Der alte trennte die perforierten Ränder von Briefmarkenbögen. Er führte eine Tabelle, die neben seinem Bett hing, in der abzulesen war, wie seine Wasseraufnahme von Tag zu Tag variierte. Der alte Big Guy aß Sandwiches mit Messer und Gabel. Er trug kurzärmlige Hemden!
    Das war, bevor seine Mutter gestorben ist. Sie ist vor acht Tagen gestorben. Sie hat es selbst getan. Big Guy hat mir die Seilspuren an dem Deckenbalken gezeigt. Er hat gesagt: »Wo immer ich mich aufhänge, bin ich daheim.« 1 In der Verfilmung hätte sein Vater ihm an dieser Stelle eine runter gehauen.
    Aber natürlich tat sein Vater das nicht – haute ihm keine runter, hörte ihn nicht mal. Obwohl Big Guys Vater vielleicht gehört hat, was Big Guy über die Chicago Cubs sagt. Es ist das Lustigste, das er sich vorstellen kann; es ist das, was er sich nicht vorstellen muss, weil es sein Vater wirklich gesagt hat, als er seinem Sohn erzählen musste, was seine Mutter getan hatte.
    »Und was noch dazu kommt –«, hatte sein Vater gesagt.
    Es war vielleicht die schiere
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