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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass
Autoren: Serhij Zhadan
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Leinenbespannung, die Halme verfangen sich im Fahrgestell, und die Flugapparate stecken tief in der schwarzen, ausgetrockneten Erde. Die Piloten kullern aus den brennend heißen Kabinen, fallen in den Weizen, der sich sogleich um ihre Beine wickelt, stehen auf und versuchen, am Horizont etwas zu erkennen. Aber am Horizont gibt es nichts, außer Weizenfeldern, die sich unendlich hinziehen, so dass es hoffnungslos ist, sich aus ihnen befreien zu wollen. Die Piloten lassen ihre Maschinen zurück, die in der Abenddämmerung allmählich auskühlen, und gehen nach Westen, der Sonne nach, die schnell erlischt. Die Halme sind hoch und undurchdringlich, die Piloten können sich nur schwer ihren Weg bahnen, müssen eine unsichtbare Wand vor sich eindrücken ohne jegliche Chance, irgendwohin zu gelangen. Sie tragen Lederhelme mit Brillen und schwere Handschuhe und schleppen geöffnete Fallschirme hinter sich her, die sie nicht abkoppeln wollen, schleppen sie hinter sich her wie schwere Krokodilschwänze.
    *
    Ich erwachte vom gleichmäßigen Brummen des Motors. Auf der Sitzbank neben mir schliefen die drei Neger, Karolina war nicht da. Ich spähte in den Salon. Es war schon ziemlich spät, rechts vor dem Fenster ergoss sich die Abendsonne in rotem Flackern. Wieviel Uhr es wohl war? Ich trat zu einem der Händler, der friedlich schlief, nahm seinen Arm und schaute auf die Uhr. Halb zehn. Verdammt, dachte ich, hab ich verschlafen? Ich ging zum Fahrer. Der begrüßte mich wie einen alten Freund, ohne die Augen von der Straße zu nehmen. Ich schaute durch die Scheibe. Gleich kam die Abzweigung, wenn man hier nicht abböge, sondern weiterführe, käme nach ein paar Kilometern genau der Ort, wo ich hinmusste. Aber an der Abzweigung bremste der Fahrer.
    – Väterchen, komm, – sagte ich zu ihm, – bring mich bis zur Tankstelle. Das sind nur ein paar Kilometer.
    – Ist das oben? – fragte der Fahrer.
    – Mhm.
    – Beim Sendeturm?
    – Ja.
    – Nein, – entschied er. – Wir biegen ab.
    – Warte, – begann ich zu handeln. – Du hast doch Probleme mit dem Fahrwerk. Mein Bruder hat eine Werkstatt. Er macht dir eine Generalüberholung.
    – Söhnchen, – sagte der Fahrer fest und bestimmt. – Dort ist eine Stadt. Und wir können in keine Stadt. Wir haben Ware geladen.
    *
    Ich stieg aus dem Bus. Kaum war die Sonne untergegangen, wurde es kühl. Ich zog die Jacke über und folgte der Straße. Nach zwanzig Minuten erreichte ich die Tankstelle. Die Fenster der Werkstatt nebenan waren dunkel. Nirgends brannte Licht. Kein Kotscha weit und breit. Alles dunkel und leer. An der Tür der Werkstatt baumelte ein Schloss. Ich entschied mich zu warten und ging zur Baracke. Zwischen Gras und Himbeersträuchern stand ein vorsintflutlicher Bauwagen, dahinter stapelten sich ein paar alte Schrottautos. Der Bauwagen, Kotschas Zuhause, war ebenfalls verschlossen. In der Dämmerung näherte ich mich einer einsamen KAMAZ -Fahrerkabine. Kletterte hinein und streifte die Turnschuhe ab. Oben hing der Mond. Die Landstraße kühlte ab. Direkt vor mir, im Tal, lag die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen war. Ich nahm den Rucksack, legte ihn mir unter den Kopf und schlief ein.

2
    Argwöhnisch strich der sumpfschwarze Hund durchs hohe Gras. Er näherte sich leise, geduckt, um unbemerkt zu bleiben, schob mit kampfbereiten Pfoten die Halme auseinander und verdeckte die morgendliche Sonne. Die Morgenstrahlen vergoldeten seinen Schädel mit den glasigen Augen, in denen sich bereits mein Abbild spiegelte. Er machte einen federnden Schritt, dann noch einen, hielt für einen Augenblick inne und streckte langsam sein Maul in meine Richtung. Seine Augen blitzten in hungrigem Glanz, das Gras hinter seinem Rücken schloss sich als smaragdgrüne Welle und verbarg den blutigen Sonnenklumpen. Instinktiv reagierte ich im Traum auf seine Bewegung und wehrte ihn mit der geballten Faust ab.
    – Harry, Kumpel!
    Ich strampelte gegen das verbeulte Blech und riss mich von meinem Traum los.
    – Harry! Freund! Da bist du ja! – Kotscha beugte sich vor und wollte mich packen, wobei er mit den langen hageren Armen wedelte und seinen kahlen Schädel hin und her drehte. Aber es gelang ihm nicht, sich durch das ausgeschlagene Seitenfenster der Fahrerkabine zu zwängen. Er stand gegen die Sonne, die bereits aufgegangen war und nun mit Leichtigkeit zu der ihr genehmen Höhe emporstieg, und blinkte mit seiner großen Brille. – Na, was liegst du da rum! – krächzte er und
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