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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks
Autoren: Jörg Zipprick
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gibt es in weiten Teilen der Welt keine verbindliche Ausbildung für Köche. Koch ist, wer sich dem Kochen widmet, ob am eigenen Herd oder als Herrscher über eine Brigade am Königshof.
    Und jetzt blättern Sie bitte um und entdecken die Geschichte der größten Köche aller Zeiten.

1. V ORSPEISE : S CHWAN MEDIEVALE
    An den Tisch des römischen Emporkömmlings trat »ein riesiger Bartträger mit riemenumwundenen Beinen und einem Zipfelmantel aus Damast«. Er schwang ein Jagdmesser, stieß es kräftig in die Flanke eines gebratenen Wildschweins. Prompt flatterten aus der Wunde lebende Drosseln, die namenlose Köche sorgsam in die Bauchhöhle eingenäht hatten. Vogelfänger »standen mit ihren Ruten bereit und fingen sie, obwohl sie im Speisezimmer herumflatterten, im Handumdrehen«. Jeder Gast bekam eine Drossel, großzügig wurden Datteln und Eicheln aus Syrien und Ägypten verteilt.
    Dies ist nur ein halber Gang aus einem Festmahl des Satyricon , verfasst von Titus Petronius (22-66). So speisten reiche Römer, denen es offenbar nichts ausmachte, dass die panischen Piepmätze in der Bauchhöhle des Schweins vielleicht die eine oder andere »Hinterlassenschaft« deponiert hatten. Spektakelküche quer durch die Jahrhunderte, von Lucullus bis zu Kaiser Elagabal, der auch Bediensteten in Anfällen von Großzügigkeit Straußenhirne servieren ließ.
    Wann immer die Grundbedürfnisse einer Gesellschaft gedeckt sind, wenden sich ihre Mitglieder der Verfeinerung zu. Das gilt natürlich auch für das Kulinarische. Doch auch Verfeinerung lässt sich übertreffen, mit Protz, Pracht und theatralischen Inszenierungen. Dazu braucht es nur ein wenig Fantasie, jedoch weit mehr Geld. Die gastronomischen Extravaganzeneines Lucullus und Apicius waren nur durch eine prall gefüllte Geldbörse möglich. Was aber, wenn die Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind? Wenn sogar die Superreichen andere Sorgen als die nächste Mahlzeit haben? Oder wenn die nächste Mahlzeit gar die letzte sein kann?
    Es ist eine schreckliche Vorstellung: Eines finsteren Tages im 5. Jahrhundert n. Chr. stürmen die Hunnen herbei, die römischen Legionen fallen wie die Fliegen, in ganz Europa wird gemordet, geplündert.
    Vielleicht aber läuteten auch die Germanen oder die Goten den letzten Akt für das Römische Reich ein. Alarich, Führer der Westgoten, eroberte schließlich 410 Rom und ließ die Stadt drei Tage lang plündern. Der Germane Odoaker setzte 476 den römischen Kaiser Romulus Augustulus (»das Kaiserchen«) kurzerhand ab. Zwar hatte Odoaker einst für Attila, den Hunnenkönig »Etzel« des Nibelungenliedes , gekämpft, weigerte sich nun aber als ehemaliger Offizier der weströmischen Armee, über Gebühr barbarisches Verhalten an den Tag zu legen. Er verzichtete darauf, das Kaiserchen zu töten, zahlte ihm lieber eine jährliche Pension und ließ auch den römischen Senat, das Rechtssystem und die Verwaltung bestehen. Fortan war Odoaker König Italiens und es herrschte Mittelalter, zumindest nach unserer heutigen Vorstellung.
    Rom wurde also weder an einem Tag gebaut noch an einem Tag zerstört. Auch die römische Küche verließ Tische und Teller nicht von heute auf morgen. Schließlich wurde das Kochbuch des Apicius in den Klöstern fleißig kopiert.
    Doch die Tage der Völlerei waren vorüber: Mit dem Christentum kamen veränderte Essgewohnheiten. Papst Gregor der Große (540-604) erwähnt in den Moralia ausdrücklich die Völlerei als eine von sieben Todsünden. Neu war dieser Gedanke nicht: Für den Kirchenvater Hieronymus (347-420) war der Fleischverzehr minderwertig. Gott hätte schließlich den Fleischverzehr erst Noah zu Zeiten der Sintflut gestattet, während die ursprüngliche Nahrung der Menschen aus Früchten und Gemüse bestand.
    Das Mittelalter, immerhin ein Zeitraum von 1000 Jahren, hat einen finsteren Ruf, weil es nur wenige schriftliche Zeugnisse gibt. Ein vollständiger Rückfall in die Steinzeit war es dennoch nicht: Die Bürger Ostroms, alias Byzanz, lebten opulent. Sie verfügten über einen Lebensstandard, der weit über den des restlichen Europas hinausging. Das wirkte sich auf ihren Speisezettel aus. Zu seiner Blütezeit reichte das Byzantinische Reich vom Nordosten des Mittelmeeres über die Türkei bis zur Arabischen Halbinsel, was den Byzantinern eine große Auswahl an Zutaten, Gewürzen, Kräutern, Früchten und Gemüse bescherte. Die Küche war so vielfältig wie die Region des Reichs. Aller Wahrscheinlichkeit nach war
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