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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin
Autoren: Julya Rabinowich
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dass es alle Nachbarn auch mitbekommen. Wir sind sauberer als sauber.
    Ich sitze verschwitzt am Rand des Kornfelds auf der kleinen Falte Erde, die sich hin zur Landstraße schlägt, und denke an die Kürbisfelder, die auf der anderen Seite der Welt auf mich warten. Perfekt gestreifte kleine und große Sphären, die im Dämmerlicht des Morgens zwischen geringelten Strünken sattorange leuchten. Widerhaken und knallig gefärbte Blüten. Die Stacheln schwer aus der Haut zu entfernen. Die Blüten kann man vorsichtig lösen und essen, wenn der Hunger groß ist, sie schmecken leicht bitter und fühlen sich zart wie Schmetterlingsflügel am Gaumen an. Weit dahinter beginnen erst die Maisfelder, die ich noch überqueren muss, wenn es heller geworden ist.
    Ich bleibe kurz stehen, stelle meinen Rucksack ab und sehe mich um. Die lichtabgewandten Kürbisflanken bleiben dunkelgrün. Sie werfen lange Schatten neben die Schatten, die meine Beine werfen.
    Die Sonne geht auf und das Rot am Horizont greift auf die Erde und die Kürbisse und auf mich über. Ich kneife die Augen zusammen und sehe die Erde voller Ranken vor mir ausgebreitet, den vom Regen glattgestrichenen Feldboden, ausgetrocknete Rinnsale wie Marsflussbetten. Jeder meiner Schritte dringt in eine perfekt abgeschlossene Welt hinein und bricht sie in neue Landschaft.
    Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

»Was haben Sie in Wien gemacht?«
»Verschiedenes.«
»Von irgendetwas haben Sie ja leben müssen.«
»Mal dieses, mal jenes.«
    3
    Eine Bewegung deckt meine Müdigkeit zu. Die nächste zeichnet harte Linien weich, betont die Wölbung des Mundes, ich schließe mein linkes Auge und fasse den Wimpernkranz in einen geheimnisvoll dunklen Rahmen. Die Lider flattern voller Scheu vor neuer Berührung. Als ob ich mir nicht vertrauen würde. Als wäre die Hand, die geduldig Teile der täglichen Maske auf mich aufträgt, nicht meine. Noch ist die Maske makellos, die Risse in ihr, die sich bald in kleinere und tiefere Fältchen absetzen werden, sind noch fern. Das Make-up billig und die Haut mitgenommen, der Zauber währt nicht lang.
    Für die Spanne Zeit, für die er notwendig ist, wird es reichen. Zwischen meiner Nasenwurzel und den Augenwinkeln ist die Haut nun dunkel und bläulich, als hätte ein Vogel mit scharfem Schnabel fest hineingehackt. Ich kenne diesen Vogel. Er heißt Alter. Ein nebelfarbener, ein leiser Vogel ist er, der lange über seinen Opfern kreist, bevor er sie mit kaum hörbarem Flügelschlag auslöscht.
    Ich verteile jugendliches Erröten großzügig über mein Gesicht. Eine angebliche Bereitschaft.
    Den Mund öffne ich erwartungsvoll und mache meine Lippen feuchtglänzend. Mein Blick ist immer noch hart, es gibt nichts, was ich darüberlegen könnte, um noch weiter zu täuschen.
    Die Bühne liegt im Dunkeln vor mir, ruhig, trügerisch.
    Bald wird sich das Licht über mich ergießen und alle Makel wieder schonungslos an die Oberfläche zerren.
    Ich räuspere mich. Ich lasse meine Stimme aus mir heraussteigen, hoch über mich hinweg, in meiner Sprache, in meinen Worten, die hier keiner versteht.
    Ich versuche immer zu verstehen. Spreche mittelmäßig Deutsch, etwas Englisch, ein wenig Polnisch, Tschechisch und Serbisch, Bruchstückchen Türkisch und Arabisch. Sie haben mir Wortsplitter mitgegeben und Kleingeld, und ich habe alles genommen, was ich bekommen konnte. Mein Versteckspiel. Mein Gefundenwerden. Mein Verlorengehen.
    Die Sprache ist Teil meiner Haut, Teil meiner Schritte, sie wechselt, wie meine Identität gewechselt werden muss, jeder Schauspieler muss das können, um Erfolg zu haben.
    Ein Wiegenlied, für mich und für den Abend. Dieses Lied habe ich meinem Sohn wieder und wieder vorgesungen, zuerst, als er klein und müde, später, als er schon groß und krank war. Das Lied schenkt keine Ruhe, es spendet keinen Trost, aber es macht mich wieder menschlich, wenn ich das Gefühl habe, über gewisse Grenzen zu schreiten, wie über die Schwelle von meines Vaters Haus, über die Grenze meines Landes und über die nächste Grenze und noch eine.
    Jede Grenze war eine Schwelle, die ich im Eiswasser gewaschen hinter mir zurückließ, ohne dass jemand einen Blick an mich, die Fortgehende, verschwendet hätte.
    So unauffällig, wie ich aufgetaucht bin, bin ich weitergegangen.
    Das muss man können, nicht jeder kann das. Meine Freundin Nastja zum Beispiel fiel auf, als sie über die zweite Grenze gehen wollte. Ihr gehetzter
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