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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin
Autoren: Julya Rabinowich
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sind stolz darauf, Korn für das Volk zu ernten, alles, was es braucht, um gesund und stark zu bleiben. Allerdings wird das Korn zum Schleuderpreis ins Ausland geliefert und wir finden uns an dieser Grenze wieder, um dem Korn nachzuziehen.
    Das fruchtbarste Gebiet von allen ist Westeuropa, das alle ernährt. Da gibt es Korn, da gibt es Arbeit. Alle wollen wir nur einen Löffel vom Honig, ein Gläschen nur von der Milch, die in Europa fließt.
    Ein Teilchen nur, ein elementares Teilchen, um zu überleben.
    Das Volk ist schon lange geübt darin, auf Brot zu verzichten und zu überleben, ob in den Gebieten im Süden oder im hohen Norden, an den Küsten, an denen die verschrotteten Gerippe atomarer U-Boote liegen, große schwarze Umrisse steinzeitlicher Untiere, die verborgen in die Nacht strahlen und Wasser und Erdreich durchdringen und verändern. Die Pflanzen werden eigenartig dort und dicht und groß wie in den verwunschenen Wäldern alter Märchen. Wildwuchernd Pflanze, Tier und Mensch.
    Im ganzen Land erzeugt man demnach Brot und Raketen. Das Brot geht in den Westen, die Raketen werden vorläufig dem Himmel drohend in Abschusskratern aufgestellt. Fürs Klopapier bleibt oft keine Zeit mehr.
    Hygienische Notwendigkeiten trieben sogar meine Mutter aus dem Haus. Ausgerüstet mit großen Taschen und Rucksäcken mit dem Bus ins nächste Dorf.
    Sie mochte es nicht, die schützenden Mauern unserer Residenz zu verlassen. Wenn sie sich nach draußen wagte, wurden ihre Bewegungen hastig und ungenau. Dinge fielen ihr aus den Händen und sie hatte es immer eilig. Vermutlich hatte sie Angst, Vater zu versäumen.
    Ausflüge waren etwas Seltenes und Aufregendes und das Nachbardorf eine halbe Weltreise. Wir reisten mit dem Bus, der so oft an unseren Fenstern vorbeifuhr, aus dem manchmal fremde Leute ausstiegen und oft Nachbarn, die aus der Stadt pendelten, seltene Leckereien und wilde Geschichten im Gepäck.
    Die Nasen an das staubige Glas plattgedrückt, stritten wir uns darum, wer mehr Hasen auf den Äckern erkennen würde, während der Bus über die unebene Landstraße rumpelte, Sand aufwirbelte. Die Felder trugen noch keine Früchte, sondern schienen hauptsächlich aus aufgewühlten Reihen Erde zu bestehen, die an ein Zopfmuster afrikanischer Frisuren erinnerten. Meine Mutter stand mit fest verschlossenen Lippen hinter mir und hielt uns mit ausgestrecktem Arm ans Fenster, um uns vor den Mitreisenden abzuschirmen, die vielleicht Infektionen in sich trugen.
    Ihre Spannung löste sich nur wenig, als wir von einem entfernten Verwandten, den wir vielleicht zweimal zuvor gesehen hatten, an der Haltestelle in Empfang genommen wurden. Ich blickte mich gierig um: Es roch anders hier, und es sah auch anders aus, die heruntergekommenen Häuser am Hauptplatz trugen fremde Farben und andere Gesichter in ihren Fenstern.
    Eine alte Frau in buntem Rock und dunkelblau aufgedunsenen Beinen sitzt auf einem Hocker auf der Straße und bietet gehäkelte Spitzendecken an. Sie lächelt mich an. Goldohrringe und Goldzähne.
    Neben ihr eine Flasche Wein und ein Krug Wasser.
    »Steig ein«, drängt mich der fast fremde Onkel, er schubst mich mit einer nach Mann riechenden Hand, die so anders ist als die des Vaters meiner Erinnerung, in sein rostiges Auto. Meine Schwester sitzt schon drin, artig beim Fenster, die Hände im Schoß, während ich alles angreifen, ausprobieren, kaputtmachen und erfahren muss. Meine Nägel sind nach zwei Stunden Reise bereits dunkel gefärbt.
    Im Auto stinkt es nach Benzin. Ich will das Fenster hinunterkurbeln, aber meine Mutter verbietet es, aus Angst, wir könnten uns im Zug den Tod holen. Nach einer halben Stunde Fahrt auf der Landstraße wird mir übel.
    Ich will anhalten, aber das geht nicht, weil wir uns beeilen müssen. Wir wissen immer noch nicht genau, wohin eigentlich, und die Neugier lenkt mich eine Zeitlang vom Brechreiz ab. Meine Mutter ist unruhig still und antwortet auf die Fragen ihres entfernten Cousins nur einsilbig. Er bricht nach mehreren Konversationsversuchen ab und fährt schweigend weiter, während Wälder an uns vorüberziehen, durchbrochen von Feldern und kleinen Siedlungen, so klein, dass sie nicht einmal aus zehn Häusern bestehen. Armselige kleine Zäune, die der kommunistischen Idee widersprechen wie das Steinhaus der Eltern. Hühner laufen vor dem Auto auseinander. Ziegen sehen uns vorwurfsvoll nach.
    »Wo fahren wir hin, Mama«, frage ich.
    »Einkaufen«, antwortet der Onkel, nachdem meine
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