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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde
Autoren: Emile Zola
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ein hübscher kleiner Schwindel geblieben, leeres Gerede für die armen Leute, um sie nur desto sicherer um diese Freiheit und Gleichheit zu betrügen. »Bloß hat uns das was genützt, denen ihre Freiheit und denen ihre Gleichheit, Rose und mir?« hatte der alte Fouan schon im Feierabendkapitel gesagt.
    Zola hat oft genug, nicht nur in diesem Roman, die Gewißheit ausgesprochen, daß das kommende Säkulum ein sozialistisches sein wird. Aber wie das vor sich gehen sollte, davon hatten ihm Guesde's Zukunftsentwürfe offensichtlich keine sehr überzeugende Vorstellung vermittelt. Einmal jedoch wird von Hourdequin auf den objektiven gesellschaftlichen Charakter dieser mit fast autonomer Schwerkraft abrollenden ökonomischen Veränderungen hingewiesen, als der Hofbesitzer in seinem letzten Gespräch mit Jean das düstere Bild des allgemeinen Niedergangs der Erde und seines eigenen Ruins malt und nach den Gründen der hereinbrechenden Katastrophe forscht: »Das war der Beginn der geweissagten Zeiten, der Getreidepreis unter sechzehn Francs, das mit Verlust verkaufte Getreide, der Bankrott der Erde, den soziale Ursachen herbeiführten, die entschieden stärker waren als der Wille der Menschen« (Hervorhebung R. Sch,). Aber dieser an Guesdes' Gedankengänge erinnernde Satz verhallt vor den unmittelbar daran anschließenden Worten Hourdequins, die zugleich Zolas eigentliche Deutung des sozialen Geschehens bringen: »Mag alles zusammenkrachen, mögen wir alle verrecken, mögen die Brombeeren überall wachsen, weil es eben aus ist mit dem Menschengeschlecht und die Erde erschöpft ist!« (Hervorhebung R. Sch.). Wieder einmal, wie schon so oft, hat Zola damit die soziale Problematik, die er nicht bis ins letzte zu erfassen vermag, in eine biologische Gesetzmäßigkeit umgedeutet und damit nach seiner Meinung vertieft und aufgewertet.
    Indem er dem gesamten Geschehen seines Romans die naturphilosophische Lehre von der Einheit alles Seins unterlegt, in dem Tod und Leben gleichermaßen ihren Platz haben, hat Zola das einigende Band gefunden, das die verschiedenen heterogenen Teile als Ganzes zusammenzuhalten und dem Ganzen damit zugleich das Pathos eines großen Naturhymnus zu verleihen vermag.
    Als Zola im Entwurf schrieb, daß er »das lebensvolle Gedicht der Erde« schaffen möchte, hatte er noch hinzugefügt: »Aber ohne Symbol, auf rein menschliche Weise.« Nunmehr jedoch war die Erde zur symbolisch überhöhten Zentralfigur geworden. Der Titel bringt dies bereits programmatisch zum Ausdruck. »Die Erde, sie ist die Heldin meines Buches, die Ernährerin; die Erde, die das Leben gibt und nimmt. Eine riesige Gestalt, immer gegenwärtig, das ganze Buch erfüllend.« Alle Gedanken, alle Handlungen, alle Leidenschaften der Menschen gehen von der Erde aus und münden in sie ein. So gesehen, verwandelt sich auch das Verhältnis des Bauern zur Erde, sein Drang, möglichst viel Grund und Boden zu besitzen – denn Grundbesitz ist seine Form des Reichtums, die reale Aussicht, den Konkurrenzkampf zu bestehen, das Leben seiner Familie zu sichern – aus einem sozialen Charakterzug fast in eine biologische Gegebenheit, eine unheimliche, letztlich unerklärliche Leidenschaft, die Zola in einen Sexualmythos wendet. Ganz gleich, ob Fouan oder Hourdequin oder Geierkopf, für sie alle ist die Erde etwas Lebendiges, ein Wesen, das sie lieben, inbrünstig, leidenschaftlich. Ihr sind sie verfallen, wie einem Weib, mehr als einem Weib. Geld, Liebe, Ehe, Zeugen und Morden sind nur Mittel, sie, die Erde, zu besitzen. Erde, immer mehr Erde. Und wenn Geierkopf eine Handvoll »seiner« Erde aufnimmt und sie bedächtig, gleichsam genießerisch durch seine Finger rinnen läßt, um sie zu befühlen und ihren Duft einzuatmen, so steht diese Geste symbolisch für das Verhältnis aller Bauern zur Erde in Zolas Roman.
    Erde, Liebe, Geld, um diese drei Leidenschaften kreist nach Zolas eigenen Worten die Handlung, aber im Grunde verfließen diese Leidenschaften in eine, die Leidenschaft für die Erde. Mit der symbolischen Überhöhung und Weitung der Erde war nicht nur jene so lange und so mühsam gesuchte »logische« Einheit des gesamten, in seiner Aufgabenstellung so disparaten Werkes gefunden, sondern zugleich auch jene über die epische Darstellung hinausgreifende, ins Lyrische einmündende untermalende Poetisierung des Ganzen, die Zola ursprünglich glaubte nur den das Landleben darstellenden Partien zubilligen zu können. Durch diese Aufhebung der
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