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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde
Autoren: Emile Zola
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oder Klasse bestimmt. In der mittelalterlichen Feudalgesellschaft war für eine Poetisierung des Bauern im Sinne eines gesellschaftlichen Vorbildes kein Platz.
    Der Bauer gehörte zu dieser Zeit bestenfalls ins »Vorfeld der Literatur«, in die Volksdichtung. Er wurde als grober, ungehobelter Klotz dargestellt, der bei aller Pfiffigkeit meist von der noch größeren Pfiffigkeit seiner Umwelt, vor allem seiner Frau, hereingelegt wird, über dessen Mißgeschicke man fast schadenfroh lachte und den man im Grunde von Herzen verachtete. An diesem einmal geschaffenen Charakterbild änderte sich bis zum 17. Jahrhundert im großen gesehen wenig. Molière ist der erste, der dieses Verdikt gegen den Bauern durchbricht, ihn im George Dandin zur ernst zu nehmenden Zentralgestalt erhebt und ihm, obwohl er ihn der Lächerlichkeit preisgibt, die uneingesehränkten Sympathien des Zuschauers sichert.
    Bei Dandin liegt im Stück auch die moralische Überlegenheit im Vergleich zu den dummdreisten, überheblichen adeligen Schwiegereltern und der leichtfertigen, gefallsüchtigen Frau. Allerdings geht es bei Dandin um einen reichen Bauern, der sich auf Grund seines Geldes und der mit diesem Geld erkauften adeligen Heirat gewissermaßen über seinen Stand erhoben hat. Das menschenunwürdige Leben des armen Bauern hatte in ungeschminkter Wahrheit ohne zotige Witze und amüsante Floskeln fast gleichzeitig mit Molière zum ersten Mal in der französischen Literatur La Bruyère zu zeigen gewagt.
    Den Bauern literarisch ernst genommen und in seiner wirklichen historisch sozialen Bedeutung zu erfassen versucht hatte erst wieder Balzac. Durch ihn und George Sand vornehmlich war auch das Charakterbild des Bauern geprägt worden, das sich von da an fast unverändert bis zu Zola und Maupassant in der französischen Literatur hielt.
    Nach wie vor wurde der Bauer als schlau, listig, ja verschlagen dargestellt, auf seinen eigenen Vorteil bedacht, als grob und den irdischen Lüsten nicht abhold. Der Bauer galt als wortkarg, verschlossen und mißtrauisch, vor allem Städtern und Behörden gegenüber von ständiger Angst erfüllt, hereingelegt und übervorteilt zu werden – Zola hat diesen Zug blendend in der Szene beim Notar Baillehache dargestellt. Er ist knauserig bis zur Hartherzigkeit, eher bereit, sein schwer erworbenes Geld für den Tierarzt als für den Arzt, die Hebamme oder für die von einem kranken Familienmitglied benötigten Arzneien auszugeben, und gegenüber fremdem Elend ist er taub. Seine Hochachtung gilt nur dem Besitz oder dem Geld.
    All diesen Standardzügen hat Zola nichts wesentlich Neues hinzugefügt, und in Bezug auf die Durchsichtigmachung der sozialen Hintergründe dieser Charaktereigenschaften bleibt er zweifelsohne hinter Balzacs »Bauern« zurück.
    In der allseitigen Darstellung des bäuerlichen Charakters aber ist Zola seinem Vorgänger Balzac weit überlegen. Sicher hat er in dem einen oder anderen Fall die eine oder andere Seite überspannt. Die »knallende« Begabung von Jesus Christus wirkt mehr peinlich als witzig, und Geierkopf gleicht in seinem hemmungslosen Triebleben oft mehr einem Tier als einem Menschen; aber wenn er die Erde mit liebevoller Gebärde an sein Gesicht führt oder mit kindlicher Freude auf die im rinnenden Regen aufgrünenden Getreidefelder der Beauce hinabblickt, dann wirken sein Verhalten und sein Charakter echt und typisch. Natürlich sind auch nicht alle Personen des Romans mit der gleichen Plastizität gearbeitet, zusammengenommen jedoch ergeben sie ein umfassendes Charakterbild des Bauern.
    Und in einem zweiten übertrifft Zolas Bauernroman den Balzacs, in der farbigen Wiedergabe der ländlich dörflichen Atmosphäre.
    Wie der Kriegsroman, so verlangt auch der Bauernroman die Aufnahme und Behandlung einer ganzen Reihe für den Stoff charakteristischer Szenen aus der Arbeit des Bauern, vom Leben im Dorf, über Saat und Ernte. Zola war sich der notwendigen Einbeziehung dieser stoffgebundenen Bilder von Anfang an bewußt.
    Balzacs Bauern sehen wir nie bei ihrer Arbeit auf dem Feld. Bei Zola erleben wir von der Saat bis zur Ernte im Wechsel der Jahreszeiten die wichtigsten Landarbeiten mit, unter denen der Autor allerdings eine bewußte Auswahl getroffen hat. Obwohl er durch Hourdequins Mund ständig modernen Anbaumethoden und der Anwendung von Maschinen das Wort redet, hat er nur jene vom Menschen allein ausgeführten Arbeiten dargestellt, die er für eine poetische Behandlung besonders geeignet
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