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Die Erde

Die Erde

Titel: Die Erde
Autoren: Emile Zola
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erschütterte das ökonomische Gefüge der französischen Landwirtschaft so stark, daß sich die Aufmerksamkeit der gesamten Öffentlichkeit den Agrarproblemen zuwandte. Nicht nur in Broschüren, in der einschlägigen Fachliteratur, in wissenschaftlichen Abhandlungen und in Artikeln der Tagespresse wurden diese Fragen von verschiedenen Gesichtspunkten aus beleuchtet, sondern sie standen auch im Parlament während zweier Sitzungsperioden zur Debatte: im Frühjahr 1885, zu dem Zeitpunkt, da Zola bereits mit den Plänen für einen Bauernroman und ersten Materialsammlungen beschäftigt war, und im Sommer 1886, während des Beginns der Niederschrift der Erde. Mehrere Enqueten befaßten sich speziell mit Agrarfragen, prüften die Zustände auf dem Lande und forschten nach den Ursachen der Krise.
    Nach wie vor stellte die Agrikultur den größten Zweig der französischen Volkswirtschaft dar, ihrem Stand nach aber war sie gegenüber der ökonomischen Gesamtentwicklung heillos zurückgeblieben. Man kann sagen, daß sich seit den Tagen der Revolution von 1789 bis in die sechziger Jahre hinein praktisch kaum etwas in der Landwirtschaft geändert hatte.
    Der Kleinbesitz war nach wie vor vorherrschend. 1862 z. B. kamen noch auf 150 000 bäuerliche Großbetriebe mit über 40 Hektar Land rund 2 500 000 Kleinbetriebe mit maximal 10 Hektar.
    Diese Besitzverhältnisse spiegelten nach mehr als siebzig Jahren beinahe unverändert das Bild wider, wie es durch die Französische Revolution geschaffen worden war.
    Mit dem bloßen Aufgreifen dieser wichtigen politischen Probleme war deren innere gesetzmäßige Verquickung mit dem gestalteten Gegenstand noch nicht handlungsmäßig erfaßt. Deklarativ dazwischen geschoben, blieben sie im Grunde genommen außerhalb des Romangeschehens. Das Schicksal der Menschen in Zolas Erde wird von diesen Ereignissen nicht berührt.
    Das Leben der Bauern verläuft so, als existiere das Geschehen der sie umgebenden Welt für sie überhaupt nicht, als müßten sie nie ihr Getreide auf dem Markt verkaufen. Die Wirtschaftskrise scheint lediglich die größeren Grundbesitzer wie Hourdequin zu treffen. Er erliegt ihr und außer ihm werden noch einige Großpächter und Großgrundbesitzer ruiniert, aber dieses Faktum wird ganz am Rande, beinahe nebenbei erwähnt. Das soziale Elend der kleinen Bauern klingt nur einmal an, im Feierabendkapitel. Hier werden die verlogenen Phrasen der bonapartistischen Broschüre bewußt mit den bitteren Erinnerungen der beiden alten Fouans kontrastiert. Das Leben der zentralen Gestalten jedoch läßt Zola allein aus ihren persönlichen Leidenschaften fließen, nicht aus ihrer wirtschaftlichen Not.
    Zola hatte an Van Santen Kolff geschrieben, daß er jetzt jedesmal zwangsläufig auf den Sozialismus stoße, wenn er sich einem neuen gesellschaftlichen Komplex zuwende. Zola bat also seinen Freund Paul Alexis, ihm ein Gespräch mit dem Sozialistenführer Jules Guesde zu vermitteln. Guesde hatte gemeinsam mit Paul Lafargue 1883 das Programm der französischen Arbeiterpartei ausgearbeitet, worin auch die Forderungen der Sozialisten nach einer Neugestaltung der ökonomischen Verhältnisse und gesellschaftlichen Beziehungen auf dem Lande entwickelt wurden. In dem Gespräch, das Guesde am 2. Mai 1886 mit Zola führte, scheint er Zola auch die über die Agrarfragen hinausgehenden Ziele der proletarischen Revolution dargelegt zu haben. Die Notizen, die wir von Zolas Hand über diese Unterredung besitzen, verraten jedoch eine gewisse skeptische Zurückhaltung gegenüber den von Guesde entwickelten Gedankengängen. Wie im Germinal finden sich auch in der Erde drei verschiedene Vertreter sozialistischer Meinungen, von denen sich der Autor offensichtlich durch die ganze Art der Schilderung distanziert.
    Wichtiger sind für die echte Gesellschaftskritik im Roman die Gespräche zwischen Jesus Christus, dem Anhänger der alten, humanitären Ideale der bürgerlichen Revolution, und Kanone, dem deklassierten Tischlergesellen. Kanone hat zwar – vielleicht ein wenig wie sein Schöpfer Zola – nicht immer ganz richtig verstanden, was er auf den Versammlungen in den Pariser Vorstädten über die künftige sozialistische Revolution und Gesellschaft aufgeschnappt hat. Aber soviel jedenfalls ist ihm klargeworden und wird aus seinen Entgegnungen auf die Worte von Jesus Christus auch dem Leser klar: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die hohen Ideale der bürgerlichen Revolution, 1789, 1793, sind nichts als
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