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Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben
Autoren: William Golding
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dem Salzwasser gerettet hätte – »Die Brüste schmerzen mich.«
    Wenn sie das Kleine nicht als Spielzeug hätte haben wollen – wenn ich das andere nicht zum Spaß am Leben gelassen hätte —
    Er begann mit hoher Stimme hastig zu sprechen. »Nach diesen Bergen kommen Ebenen, Marlan, denn sie werden immer niedriger; und da gibt es sicher auch Herden, daß wir jagen können. Wir wollen das Ufer ansteuern. Haben wir Wasser? Aber natürlich haben wir Wasser. Haben die Frauen die Nahrungsvorräte eingeladen? Hast du die Vorräte mitgebracht, Twal?« Twal hob ihm das Gesicht entgegen, und es war verzerrt vor Leid und Haß.
    »Was kümmern mich die Vorräte, Herr! Du und er, ihr habt mein Kind den Teufeln ausgeliefert, und sie haben mir einen Wechselbalg dafür zurückgegeben, der nicht sieht und nicht spricht.«
    In Tuamis verzweifelter Gedankenwirrnis wirbelte es auf wie von Sand. Er erkannte mit Schrecken, daß er Twals Worten die Feststellung hinzufügen konnte: Auch ich bin ein anderer geworden; sie haben mir statt meiner selbst einen gewandelten Tuami zurückgegeben. Was soll ich tun? Nur Marlan war der gleiche – eingefallener, schwächer, aber der gleiche. Er spähte nach vorn und suchte mit dem Blick den Ungewandelten, als könne er sich an ihm, an seiner Beständigkeit, wieder aufrichten. Die Sonne entflammte das rote Segel, und Marlan war rot. Seine Arme und Beine waren zusammengezogen, sein Haar sträubte sich und sein Bart, seine Zähne waren Wolfszähne und seine Augen wie blinde Steine. »Sie können uns nicht folgen, bestimmt nicht. Sie können Wasser nicht überqueren.«
    Langsam zerfloß der rote Nebel und wurde wieder ein Segel, das in der Sonne glühte. Vakiti kam um den Mast herumgekrochen, auch jetzt noch sorgsam darauf bedacht, daß seine kunstvolle Haartracht nicht durch eine Berührung mit den Schoten in Unordnung geriet. Er glitt an Marlan vorüber, dem Alten, soweit es die Enge des Bootes erlaubte, seine Ehrerbietung ausdrückend und sein Bedauern, ihm so nahe kommen zu müssen. Er wand sich an Vivani vorbei und trat reumütig grinsend achtern zu Tuami. »Entschuldige, Herr, daß ich dich nicht früher abgelöst habe. Geh du jetzt schlafen.«
    Er klemmte sich das Steuerruder unter den linken Arm und hockte auf Tuamis Sitz nieder. Tuami kroch über Tanakil hinweg, kniete neben dem vollen Gefäß hin und blickte es verlangend an. Vivani ordnete ihr Haar; sie hielt die Arme hochgereckt, und der Kamm fuhr hinein, hindurch, hinaus. Sie hatte sich nicht verändert, höchstens ein wenig, was den kleinen Teufel anging, der sie nun beherrschte. Tuami erinnerte sich der Nacht in Tanakils Augen und verwarf den Gedanken an Schlaf. Später vielleicht, bald vielleicht, wenn ihn die Müdigkeit übermannte, doch nicht ohne Hilfe des Trankes in dem Gefäß. Seine rastlosen Hände faßten an den Gürtel und zogen das spitz zulaufende Elfenbein mit dem noch ungeschlachten Griff heraus. Er fand den Stein in seinem Beutel und begann zu schleifen, und es herrschte Stille. Der Wind frischte ein wenig auf, und das Ruder rauschte leise im Kielwasser. Der Einbaum war so schwer, daß er sich nicht heraushob oder mit dem Wind Schritt hielt, wie das Boote manchmal taten, die aus Rinde gemacht waren. So umwehte der Wind sie mit warmem Hauch, und mit ihm verflog ein Teil der Wirrnis in seinem Kopf. Er arbeitete lustlos an der Klinge seines Dolches, und es war ihm gleich, ob er das Werk vollendete oder nicht, wenn seine Hände nur Beschäftigung fanden.
    Vivani hatte jetzt ihr Haar geordnet und schaute alle der Reihe nach an. Sie stieß ein Lachen aus, das bei jedem anderen gezwungen, verlegen geklungen hätte. Sie zog an der Schnur, die die lederne Wiege ihrer Brüste zusammenhielt, und ließ die Sonne auf ihren Busen scheinen. Hinter ihr sah Tuami die niedrigen Berge und das Grün der Bäume und das Dunkel unter dem Laubdach. Das Dunkel zog sich wie ein dünner Strich an der Küste hin, und darüber waren die Bäume grün und lebendig. Vivani bückte sich und schlug die Hülle aus Bärenpelz zur Seite. Dort klammerte sich der kleine Teufel mit Händen und Füßen an ein Stück rohes Fell. Als ihn das Licht überflutete, hob er den Kopf von dem Fell und öffnete blinzelnd die Augen. Er stützte sich auf die Vorderbeine und blickte sich mit flinken Bewegungen des Kopfes und des Rumpfes neugierig und bedächtig um. Er gähnte, und sie sahen, daß er Zähne bekam, und dann fuhr eine rosige Zunge über die Lippen. Er
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