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Die Erben

Die Erben

Titel: Die Erben
Autoren: William Golding
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ein wenig auf und stand da und sah nicht auf den Knochen, sondern auf einen weiter entfernt liegenden Punkt. Es war ein seltsames Wesen, klein und zusammengekauert. Beine und Schenkel waren gebeugt, und die Außenseite der Beine und Arme bedeckte ein dichtes Lockenfell. Der Rücken war hochgewölbt, und auf den Schultern wuchs ihm welliges Haar. Seine Füße und Hände waren breit und flach, und der große Zeh stellte sich zum Greifen nach innen. Die Hände an den langen Armen schwangen bis zu den Knien herab. Der Kopf saß ein wenig nach vorn geneigt auf dem kräftigen Hals, der sich fast gradlinig bis in den Lockenkranz unter den Lippen fortzusetzen schien. Der Mund war breit und weich, und die großen Nasenflügel über der Oberlippe blähten sich auf wie Schwingen. Die Nase hatte kein Bein, und der Mondschatten der vorspringenden Brauenwölbung lag gerade über der stumpfen, flachen Spitze. In den Höhlen über beiden Wangen waren die Schatten am dunkelsten und die Augen darinnen unsichtbar. Die Braue darüber war eine behaarte gerade Linie; und noch weiter darüber war nichts mehr.
    Das Wesen stand da, und Pfützen Mondlichts bebten über es hinweg. Die Augenhöhlen starrten nicht auf den Knochen, sondern auf eine unsichtbare Stelle zum Fluß hin. Jetzt rührte sich das rechte Bein. Alle Aufmerksamkeit des Wesens schien sich auf dieses Bein zu richten, und der Fuß begann in der Erde zu kratzen und zu scharren wie eine Hand. Der große Zeh bohrte und griff zu, und die anderen Zehen schlossen sich um einen Gegenstand, der in der aufgewühlten Erde fast ganz vergraben gewesen war. Der Fuß ging in die Höhe, das Bein beugte sich und reichte den Gegenstand der niederfassenden Hand.
    Der Kopf neigte sich ein wenig herab, der Blick kehrte von dem unsichtbaren Punkt zurück und fiel auf das, was die Hand emporhielt. Es war eine alte, verdorrte Wurzel, an beiden Enden abgenutzt, abgegriffen, die jedoch in der Form die übertriebenen Umrisse eines weiblichen Körpers bewahrte.
    Das Wesen blickte wieder zum Wasser hin. Jede Hand hielt ihren Fund umklammert, die gerade Linie der Braue glänzte im Mondlicht über den tiefen Höhlen, in denen die Augen verborgen waren. Licht ergoß sich über die Backenknochen und die breiten Lippen, und ein Gerinnsel aus Licht fing sich auch in jeder Locke gleich einem weißen Haar. Doch die Höhlen waren finster, als sei der ganze Kopf schon nur mehr ein Schädel. Aus der Erstarrung des Wesens schloß die Wasserratte, daß es nicht gefährlich sei. Sie stürzte mit einem Satz unter dem Busch hervor und über die freie Fläche, vergaß die stumme Gestalt und suchte geschäftig nach Nahrung. Jetzt war Licht in den Höhlen, Lichter so matt wie Sternenschein im Spiegel der Kristalle einer Granitklippe. Die Lichter wuchsen, wurden deutlicher, heller, leuchteten jedes am unteren Rand der Höhlen, über der breiten Nase. Da wurden aus den Lichtern plötzlich lautlos schmale, zunehmende Monde, die gleich darauf verlöschten, und Streifen glitzerten auf beiden Backen. Die Lichter blitzten wieder auf, verfingen sich in den silbernen Bartlocken. Sie blieben hängen, wurden länger, tropften von Locke zu Locke und sammelten sich an der untersten Spitze. Die Streifen auf den Backen klopften wie Pulsschlag, wenn die Tropfen in ihnen hinunterschwammen; ein großer Tropfen schwoll am Ende eines Barthaares an, bebend und hell leuchtend. Er löste sich los und fiel in silbernem Blitz hinab und traf ein welkes Blatt mit leisem Schlag. Die Wasserratte schoß davon und plumpste in den Fluß.
    Kaum merklich rückte das Mondlicht die blauen Schatten weiter. Das Wesen zog den rechten Fuß aus dem Unrat und tat einen schwankenden Schritt vorwärts. Es taumelte in einem Halbrund dahin, bis es an die Lücke zwischen den Dornbüschen gelangte, wo die breite, aufgewühlte Bahn begann. Es rannte diesen Steig entlang, und es war blau und grau im Mondlicht. Es schleppte sich mühsam weiter, langsam, und der Kopf ging heftig auf und ab. Es hinkte. Als es an den Hang kam, der zur Schwelle des Wasserfalls führte, trottete es auf allen vieren.
    Auf der Terrasse lief das Wesen schneller. Es rannte bis ans obere Ende, wo das Schmelzwasser des Eises im Sturzbach herabfiel. Es drehte sich um, kam zurück und kroch auf allen vieren in die Nische hinein, wo die andere Gestalt war. Das Wesen zerrte an einem großen Stein, der auf einem Erdhügel lag, hatte aber nicht die Kraft, ihn fortzubewegen. Schließlich gab es den Versuch
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