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Die Entzauberung Asiens: Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert (German Edition)

Die Entzauberung Asiens: Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Die Entzauberung Asiens: Europa und die asiatischen Reiche im 18. Jahrhundert (German Edition)
Autoren: Jürgen Osterhammel
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einen hält die disziplinäre Verunsicherung mancher orientwissenschaftlicher Fächer weiter an (zum Beispiel der primär betroffenen Islamwissenschaft: Poya/Reinkowski 2008), während bei anderen die durchaus gebotene Infragestellung eines «orientalistischen» Selbstverständnisses noch gar nicht begonnen hat. Quer durch die Fächer verlaufen Gräben zwischen Saidianern und Traditionalisten; daneben finden sich vermittelnde oder stärker das Sozialwissenschaftliche betonende Positionen. Zum anderen hat es Saids Orientalism einer sich als allgemeine Kulturwissenschaft definierenden Literaturwissenschaft ermöglicht, ihren selbstgewählten Zuständigkeitsbereich immens auszuweiten. Wenn auch solche Texte, die von ihren Urhebern als wissenschaftlich, also nicht-fiktiv gemeint waren, als Fantasien, Projektionen, Wahngebilde, überhaupt als Produkte der Einbildungskraft entlarvt werden können, dann fällt die gesamte Geschichte der Geisteswissenschaften unter die Jurisdiktion von Literaturwissenschaftlern in ihrer Eigenschaft als Generalexperten für das Imaginäre. Handelt es sich dabei zudem um Texte, in denen «Fremdheit» verhandelt wird (die, zeitgemäßer gesprochen, «transkultureller» Natur sind), eröffnen sich dem Aufspüren von «othering» oder von «Alteritätskonstruktionen» ungeheure Chancen. An Beispiel nach Beispiel können die von Edward Said aufgedeckten Strategien der Textkonstitution nachgewiesen werden: die Verdinglichung des «Anderen» durch Objektifizierung, die Zuschreibung von unveränderlichen Wesensmerkmalen («Essenzen»), das Absprechen historischer Handlungsfähigkeit («agency») oder gar von Geschichtlichkeit schlechthin, die abwertend gemeinte Feminisierung des Fremden, usw.
    Untersuchungen dieser Art haben wertvolle Ergebnisse erbracht. Sie haben Saids Fragen, die er selbst vor allem am 19. Jahrhundert exemplifizierte, an andere Epochen gerichtet und orientalistische Sichtweisen nicht nur in der europäischen «Erfindung» des Orients, sondern auch innerhalb Europas (Jobst 2000, David-Fox u.a. 2006) und sogar im Orient selbst (Makdisi 2002) entdeckt. Viele solcher Studien leiden indes an einer repetitiven Monotonie des Verfahrens, die zu wenig überraschenden Resultaten führt, an einem grimmigen Gestus des Überführens, Aburteilens, manchmal sogar Denunzierens von Autoren der Vergangenheit und an Unkenntnis über die außertextlichen Bedingungen der Entstehung von Wahrnehmungen über kulturelle Grenzen hinweg – Grenzen, die selbst wiederum alles andere als vorgegeben sind, sondern sich in Praxis wie Diskurs immer wieder neu bilden.
    Die Entzauberung Asiens ist daher (unter anderem) von Edward Said angeregt worden, aber in der Durchführung einem ganz anderen Weg gefolgt. Der erste Teil des Buches («Wege des Wissens») behandelt nicht die europäischen Repräsentationen Asiens in Texten, sondern fragt danach, unter welchen Umständen Wissen – dieses Wort wird in einer sehr weiten Bedeutung verwendet – über Asien überhaupt entstehen konnte. Wie waren die Spielräume des Sichtbaren, des Denkbaren und des Sagbaren beschaffen? In welche Arten von Interaktionen zwischen Europäern und Asiaten waren sie eingebettet? Welche Schemata der Wahrnehmungen, welche «Theorien» wurden durch die Tradition vorgegeben, gehörten also zum kognitiven Repertoire von Europäern des 18. Jahrhunderts? Welche literarischen Gattungen und welche Medien standen zur Verfügung, wurden modifiziert oder neu geschaffen? Wie wurden – was man bei nicht nachprüfbaren Berichten aus der Ferne als ein großes Problem empfand – Glaubwürdigkeit und, allgemeiner gesprochen, kulturelle Autorität erzeugt? Wie wanderte das Wissen entlang der Kommunikationskette von der flüchtig hingeworfenen Notiz vor Ort bis zum Leser in Europa, ja sogar bis zur interessierten Nachwelt? Alle diese Fragen wiederum werden durch die realen historischen Verhältnisse in Europa und in Asien umschlossen, die im Buch selbst nicht ausführlich dargestellt werden konnten, aber als Hintergrund ständig präsent gehalten werden müssen (Blussé/Gaastra 1998, Lieberman 1999, Murphey 2008, Demel/Thamer 2010, Osterhammel 2008, unter dem Gesichtspunkt der Interaktion: Gunn 2003, Grandner/Komlosy 2004).
    Der zweite Teil («Zeitgenossenschaft und Geschichte») ist in etwas konventionellerer Weise als Geschichte ausgewählter Motive und Topoi angelegt. Die Rezensenten zeigten sich dadurch stärker beeindruckt als durch die Analyse der
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