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Die Entscheidung liegt bei dir!

Die Entscheidung liegt bei dir!

Titel: Die Entscheidung liegt bei dir!
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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Sicherheit nach. Sie unterscheiden zunächst zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit. Die Handlungsfreiheit besteht in der Wahl der Mittel und Wege zu bestimmten Zielen. Die Handlungsfreiheit sagt: »Wir können
tun
, was wir wollen.« Die Willensfreiheit ist davon zu scheiden. Sie besteht darin, sich ohne fremdes Diktat eigene Ziele zu setzen. Hier lautet die Frage: »Können wir auch
wollen
, was wir wollen?« Das heißt, ist der Mensch frei in der Wahl seiner Beweggründe? Kann er sich befreien von Herkunft, Tradition, Erziehung? Die Angriffe einiger Naturwissenschaftler zielen auf diese »Willensfreiheit«. Vieles ist hier übertrieben und massenmedial inszeniert, wenn sie zum Beispiel melden, sie könnten nun »Gedanken lesen«, weil ihr Scanner mit 60 Prozent Wahrscheinlichkeit voraussagt, ob die Versuchsperson nun den rechten oder linken Arm heben wird. Aber es gibt doch ernsthafte, irritierende Sachfragen: Was ist mit einem Kind, das von Eltern, Lehrern |220| oder gar von einem totalitären Staat indoktriniert wird? Was ist mit der objektiven, vom Einzelnen aber unbemerkten Manipulation durch Tradition und Kultur? Determiniert das nicht unser Denken, unser Wollen und letztlich auch unser Handeln?
    Die Frage wurde schon im Mittelalter diskutiert und es mag für viele eine akademische Diskussion sein, unterscheidet doch der Alltagsverstand diese beiden Freiheitsdimensionen nicht. Allerdings hätte ein Beweis fehlender Willensfreiheit erhebliche Konsequenzen für unser Menschenbild und damit für die Gesellschaft, die wir auf dieses Menschenbild bauen. Stünde dann nicht sogar die Freiheit grundsätzlich infrage? Wie frei sind wir wirklich?
    Die Hirnforscher popularisieren und ergänzen dabei Erkenntnisse des amerikanischen Neurophysiologen Benjamin Libet aus den 70er Jahren, der nachweisen konnte, dass im Gehirn elektrische Erregungsveränderungen auftreten,
bevor
uns unser Wollen bewusst wird. Es geht also um die Reihenfolge: Wir glaubten bisher, dass wir erst entscheiden und danach handeln. Umgekehrt sei es richtig: Wir tun nicht, was wir wollen; sondern wir wollen, was wir tun. Offenbar beschließt das Gehirn eine Handlung und erst danach wird dem Handelnden dieser Beschluss bewusst. Die von Libet gemessene Zeitverzögerung von einigen Hundert Millisekunden konnte man noch als Fehlmessung kritisieren. Spätere Forschungen (zum Beispiel von John-Dylan Haynes) haben zwischen Hirnaktivität und bewusster Entscheidung sogar bis zu zehn Sekunden gemessen. Das war nun nicht mehr zu ignorieren.
    Obwohl die Datenlage schmal und die Interpretation umstritten ist, haben diese Untersuchungen große Aufmerksamkeit gefunden. Bis heute werden sie als Beleg dafür genommen, dass das Gehirn gleichsam »an uns« und unserem freien |221| Willen »vorbei« entscheidet: »Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst.« In Wirklichkeit denke da niemand, sondern das Gehirn spiele sein eigenes Neuronenspiel. Demzufolge hätten wir keinen bewussten freien Willen, auch anders handeln zu können, als wir gehandelt haben. Im Grunde seien wir determiniert, neuronale Verschaltungen legten uns fest. Damit sei die »ganze« Freiheit letztlich Illusion. Verantwortung? Schuld? Was kann ich dafür? Ich war es nicht! Mein Gehirn war es! Seitdem stehen etliche Elefanten im Porzellanladen – zum Beispiel bei der Frage, wie man Kinder und Kranke behandeln soll. Verbrecher sind nicht verantwortlich für ihr Tun, weil sie vom Hirn gesteuert wurden. Die zentrale Kategorie des Christentums, die freie Entscheidung für oder gegen Gott, alles nur Einbildung. Wir sollten den Neurobiologen aber für diese Behauptung nicht allzu böse sein: Sie sind ja nicht selbst dafür verantwortlich, sondern wurden von ihrem Hirn gesteuert.
    Man könnte das Ganze also als Sturm im Wasserglas abtun, wenn man auf dünner Forschungsbasis derart fundamentale Aussagen über die menschliche Natur abzuleiten glaubt. Und Libet selbst hat später erklärt, dass zwar der Willensprozess unbewusst eingeleitet werde, aber immer noch genug Zeit bleibe, sodass die Bewusstseinsfunktion die Handlung noch steuern könne, und dass das »Ich« also gleichsam ein Vetorecht habe. Das wurde jedoch nicht mehr gehört – die Neuroparty lief. Denn schon der bloße Hinweis auf die Hirnforschung genügt, um die Illusion von harten Fakten zu erzeugen und die Freiheitsliebenden als neu-romantische Spinner abzutun.
    Man muss sich nicht im Dickicht der neurologischen Argumente
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