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Die Entscheidung liegt bei dir!

Die Entscheidung liegt bei dir!

Titel: Die Entscheidung liegt bei dir!
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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entlasten von Selbstanklage und Reueblues. Unversehens fühlt man sich entlastet vom weißen Rauschen der vielfachen Überlegungen, mit denen wir zu einem Ja oder einem Nein kommen sollen. Entscheidungen verlieren ihr drückendes Gewicht. Welche Möglichkeit des Ausruhens! Wie freundlich das auch klingt: »Du hast Mist gemacht und du fühlst dich auch schuldig, aber tröste dich, du kannst nichts dafür, es war dein Hirn.« Ein Freispruch erster Klasse.
    In einer geradezu weltformelhaften Drehung unserer geistigen Tradition sind wir an einen Punkt gekommen, an dem das Fehlen von Willensfreiheit nicht schwächt – sie
stärkt
das offenbar überforderte »Ich«. Wer Stärkung sucht, der findet sie hier. Ist es nicht tröstlich, im Falle eine Niederlage einfach sein Hirn anklagen zu können und festzustellen, wir
konnten
gar nicht gewinnen? Man bedenke allerdings, dass das dann auch für den Erfolg gilt. Auch der fand dann ohne unser »Zutun« statt. Will das jemand mit Wirklichkeitssinn behaupten? Und kann man die darin liegende Entmutigung der Menschen übersehen?
    Das größte Geschenk, das uns als Menschen gemacht wurde, ist die Freiheit der Wahl. Wir können jederzeit über verschiedene Verhaltensweisen nachdenken und diejenigen auswählen, die unser Leben gelingen lassen. Und der Mensch kann alles dadurch adeln, dass er es will.
Natürlich
sind wir in dem Gebrauch dieser Freiheit beschränkt. Wie sollte es auch anders sein? Umso wertvoller ist der Spielraum, der uns bleibt. Für ihn muss man kämpfen. Und selbst das Hirn ist zu kostbar, um es den Hirnforschern zu überlassen.

|228| Ausblick: Eine Kultur der Selbstverantwortung
    Das egoistische Missverständnis
    Bei einem Vortrag wurde mir einmal entgegengehalten: »Das ist ja richtig, was Sie sagen. Aber das darf man doch nicht laut sagen.« Auf meine Nachfrage, was mein Gegenüber denn damit meine, antwortete er: »Mit diesen Gedanken zerstören Sie doch unsere Gemeinschaft.«
    So oder ähnlich mögen viele denken, die überall den egoistischen Pferdefuß herauslugen sehen. Kulturverfall, Egoismus, Bindungslosigkeit – massiv ist die Kritik am Individualismus. Die Befürchtung: Jeder ist sich nur noch selbst der Nächste. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung ist verantwortlich für die Auflösung der Werte (welcher?) und die Fröste der Freiheit. Vor allem aber beklagt eine plappernde, rückwärtsgewandte Politik mit miesepetriger Geste die »Ellbogenmentalität« oder die »soziale Kälte«. Aufs Neue wird einer bevormundenden sozialen Kontrolle der sinnstiftenden »Gemeinschaft« das Wort geredet.
    Gemeinschaftswerte sind aber nicht per se gut. Der Ku-Klux-Klan ist ebenso eine Gemeinschaft wie die Arbeiterwohlfahrt; die Scientology Church ebenso wie die Freiwillige Feuerwehr; es gibt Bürgerinitiativen für die Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr und Interessengemeinschaften |229| gegen den Bau einer Schule für geistig Behinderte im eigenen Wohnviertel. In der Familie gibt es ebenso viel Heimat und Mitgefühl wie Ausbeutung und Unterdrückung Schwächerer. In den Kirchen gibt es ebenso viel Willkür und Intoleranz, wie es Fürsorge und Hilfe gibt.
    Anstatt den Einzelnen zu ermutigen, seine Interessen klar zu artikulieren und seine Entscheidungen über die für ihn richtige Lebensführung selbst zu verantworten, verspricht die Gemeinschaftsideologie die trügerische Sicherheit ewig fest gefügter Werte, denen man sich unterzuordnen habe. Schon vor gut 150 Jahren warnten liberale Denker wie Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill vor der »Tyrannei der vielen« in der Demokratie, der sich der Einzelne kaum noch entziehen könne. Die Selbstregierung des Volkes, schrieb Mill, bedeute ja keineswegs »die Regierung jedes Einzelnen über sich selbst, sondern jedes Einzelnen durch alle Übrigen«. Sozialer Druck hat nicht nur eine gleichschaltende Kraft, er entwöhnt uns auch des Gebrauchs der Selbstbestimmung. Wir entwickeln Angst vor der Freiheit. Der Bürger merkt es kaum noch: Wir lernen, die Preisgabe unserer Selbstbestimmung als Beitrag für das Gemeinwohl zu verstehen. Aber damit wird das genaue Gegenteil dessen erreicht, was angeblich gewünscht wird. Eine Ideologie, die, wo immer es geht, Wahlfreiheit beschneidet, fördert Passivität, Jammern und organisierte Unverantwortlichkeit: die um sich greifende Tendenz, die Verantwortung für das eigene Leben allen anderen aufzubürden.
    Aber schon seit jeher werden Ich-Stärke und Eigeninteresse in
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