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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung
Autoren: Lisa J. Smith
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an ihn, wenn du willst. Er hat seine Macht über dich verloren. Der Teil von dir, der von seinem dunklen Wesen angezogen wurde, ist
verschwunden. Diesmal kannst du ihn schlagen – weil du nichts mehr für ihn empfindest.
    Wie zum Beweis wanderten ein paar Bilder durch ihren Kopf. Julian, der sie auslachte, mit seinem unvorstellbar schönen, unvorstellbar exotischen, unheimlichen Gesicht – schöner, als das eines Menschen jemals sein könnte. Julians Haar, so weiß wie Raureif, wie Nebelschwaden. Nein, noch weißer, eine unfassbar eisige Farbe. Seine Augen waren genauso unfassbar. Von einem Blau, das sie nicht beschreiben konnte, weil es nichts gab, womit es vergleichbar gewesen wäre.
    Um sich zu beweisen, dass sie recht hatte und nichts mehr für ihn empfand, erinnerte sie sich auch an andere Dinge. Sein Körper, schlank aber kräftig gebaut, mit harten Muskeln, die sie spürte, wenn er sie festhielt. Seine Berührung, so schockierend sanft. Seine langen, intensiven Küsse – so selbstbewusst, weil er sich dessen, was er tat, absolut sicher war. Er mochte aussehen wie ein Junge in Jennys Alter, er mochte der jüngste seiner Art sein, aber er war älter, als Jenny sich überhaupt vorstellen konnte. Er hatte einen Erfahrungsschatz, an den Jenny niemals heranreichen konnte. Im Laufe der Jahrhunderte hatte er jedes Mädchen gehabt, das er wollte, und alle waren seiner unwiderstehlichen Anziehungskraft hilflos ausgeliefert gewesen.
    Jenny leckte sich nachdenklich die Lippen. Vielleicht war das doch keine so gute Idee. Julian hatte zwar keine
Macht über sie, aber es war dumm, das Schicksal unnötig herauszufordern, indem sie an ihn dachte.
    Stattdessen wollte sie an Tom denken, an den kleinen Tommy, der sie in der zweiten Klasse hinter den Hibiskusbüschen küsste, an Tom Locke, den Sport-Champion. An seine warmen braunen Augen mit den grünen Einsprengseln, an sein exakt geschnittenes dunkles Haar und sein verwegenes Lächeln. An die Art, wie er sie ansah, wenn er flüsterte: »Oh, Thorny, ich liebe dich« – als täten die Worte ihm weh.
    Er war nur ein Mensch – kein unheimlicher, schöner Schattenprinz. Er war real und menschlich und ihr ebenbürtig … und er brauchte sie. Gerade jetzt.
    Und Jenny würde ihn nicht enttäuschen. Sie würde ihn finden und ihn von diesem höllischen Ort zurückholen, an den Julian ihn verschleppt hatte. Und sobald er in Sicherheit war, würde sie ihn nie wieder loslassen.
    Sie entspannte sich. Allein der Gedanke an Tom tröstete sie. Innerhalb weniger Minuten lösten ihre Gedanken sich auf, und dann …
     
    Sie war in einem Aufzug. Eine silberne Maske bedeckte das Gesicht des kleinen Mannes. Er war so klein, dass sie sich fragte, ob er ein Zwerg war.
    »Wirst du mit uns gehen? Können wir dich mitnehmen?« Jenny merkte, dass er ihr nun schon seit einer ganzen Weile dieselbe Frage stellte.

    »Wir können dich tragen«, sagte er. Jenny hatte Angst.
    »Nein«, antwortete sie. »Wer sind Sie?«
    Er fragte wieder. »Können wir dich mitnehmen?« An der Aufzugwand hinter ihm hing ein großes Plakat vom Joyland Park, einem Vergnügungspark, den Jenny als Kind geliebt hatte. »Können wir dich mitnehmen?« Schließlich sagte sie: »Ja …«, und er beugte sich eifrig vor und seine Augen blitzten in den Augenlöchern der Maske.
    »Wir können?«
    »Ja … wenn Sie mir verraten, wer Sie wirklich sind«, antwortete sie.
    Der kleine Mann trat enttäuscht zurück.
    »Sagen Sie mir, wer Sie wirklich sind«, verlangte Jenny. Plötzlich hielt sie eine Flasche über seinen Kopf, bereit zuzuschlagen. Irgendwie wusste sie, dass er nicht wirklich da war; es war nur sein Bild. Aber sie dachte, dass er vielleicht für einen kurzen Moment konkrete Formen annehmen würde, um ihr zu zeigen, wer er wirklich war.
    Doch das tat er nicht. Wieder und wieder schlug Jenny auf das Bild ein, aber die Flasche schwang einfach hindurch ins Leere. Dann verschwand das Bild.
    Jenny freute sich. Sie hatte bewiesen, dass er nicht wirklich existierte und dass sie die Kontrolle über das Geschehen hatte.
    Der Aufzug stoppte. Jenny ging durch die offene Tür – und in einen weiteren Aufzug hinein.

    »Können wir dich mitnehmen? Wir können dich tragen.«
    Der kleine Mann mit der silbernen Maske lachte.
     
    Jennys Kopf fuhr hoch, und sie riss die Augen auf. Ein Flugzeug. Sie war in einem Flugzeug, nicht in einem Aufzug. In einem Flugzeug, das in diesem Augenblick bis in die letzte dunkle Ecke bedrohlich
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