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Die Entscheidung

Die Entscheidung

Titel: Die Entscheidung
Autoren: Lisa J. Smith
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Farbe von nassem Beton, bis es heiß genug wurde, dass die Wolken aufrissen.
    Sie mussten ein Taxi vom Flughafen nehmen, weil die Autovermietung unter Fünfundzwanzigjährigen keine Wagen zur Verfügung stellte. Dee fand das empörend und wollte schon diskutieren, als Jenny sie wegzerrte.
    »Wir wollen doch möglichst unauffällig ans Ziel kommen« , zischte sie.
    Auf dem Weg nach Monessen sahen sie einen Fluss mit großen, flachen hässlichen Schiffen darauf. »Frachtkähne mit Kohle auf dem Monongahela«, erinnerte sich Jenny. Sie fuhren an zierlichen Bäumen mit schlanken Stämmen und luftigen kleinen pinkfarbenen Knospen vorbei. »Judasbäume«, erklärte Jenny. »Und dort drüben, die mit den weißen Blüten, das sind Hartriegel.« Sie bemerkte ein Stahlwerk, über dem sich weißer
Rauch erhob, der nach oben hin grau wurde. »Früher gab es hier überall Hochöfen«, fuhr Jenny fort. »Wenn sie brannten, sah es aus wie die Hölle. Wirklich. All diese Schornsteine, aus denen Feuer und schwarzer Rauch kamen. Als Kind dachte ich, dass so die Hölle aussehen müsse.«
    Als sie die kleine Stadt Monessen erreichten, warf Michael einen besorgten Blick auf den Taxameter. Doch alle anderen schauten aus den Fenstern.
    »Kopfsteinpflaster auf den Straßen«, sagte Dee. »Unglaublich!«
    »Ça, c’est drôle.« Das war Audrey. »Wie komisch.«
    »Es gibt schon auch noch anderen Straßenbelag«, sagte Jenny.
    »Aber alle Straßen sind steil«, bemerkte Dee.
    Die Stadt war auf Hügeln erbaut worden – sieben Hügel, erinnerte Jenny sich. Als sie und Zach Kinder gewesen waren, war ihnen diese Tatsache geradezu magisch erschienen – wie der siebte Sohn des siebten Sohnes, dem man hellseherische Fähigkeiten nachsagt.
    Denk jetzt nicht an Zach. Und denk vor allem nicht an Tom. Aber wie immer löste allein Toms Name einen dumpfen Schmerz in ihrer Brust aus. Wie eine Prellung, links von ihrem Brustbein.
    »Wir sind da«, sagte sie laut, um sich mit aller Macht von ihren Gedanken abzulenken.
    »Three Center Drive«, verkündete der Taxifahrer und
stieg aus, um ihre Reisetaschen aus dem Kofferraum zu laden.
    Audrey, die wegen des diplomatischen Dienstes ihres Vaters an vielen Orten der Welt aufgewachsen war, bezahlte den Mann. Sie wusste, wie man solche Dinge regelte, und gab weltgewandt ein üppiges Trinkgeld.
    »Aber das Geld …«, flüsterte Michael gequält. Audrey ignorierte ihn. Das Taxi fuhr davon.
    Jenny hielt den Atem an, während sie sich umschaute. Schon den ganzen Weg von Pittsburgh bis hierher waren vertraute Erinnerungen in ihr aufgeblitzt. Aber hier, vor dem Haus ihres Großvaters, war die Vertrautheit geradezu überwältigend.
    Das kenne ich! Hier weiß ich Bescheid! Ich erinnere mich!
    Natürlich erinnerte sie sich. Sie war hier aufgewachsen. Der breite grüne Rasen, der bis vor zum Pflaster reichte, ohne Gehweg zwischen dem Grün und der Straße – dort hatten sie und Zach gespielt. Dieses niedrige Backsteinhaus mit der kleinen weißen Veranda – sie konnte nicht sagen, wie viele Male sie dort hinaufgelaufen war.
    Die Erinnerung daran war jedoch zugleich seltsam. Das Haus wirkte kleiner und nicht ganz so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Alt und gleichzeitig neu.
    Vielleicht weil es seit zehn Jahren leer steht, dachte Jenny. Oder vielleicht hat es sich verändert – nein.
Nicht das Haus hatte sich verändert, sondern sie. Als sie das letzte Mal hier gestanden hatte, war sie fünf Jahre alt gewesen.
    Und die Erinnerung daran wirkte wie ein Spritzer eisigen Wassers. Plötzlich wusste sie wieder, weshalb sie überhaupt hier war.
    Bin ich mutig genug? Bin ich wirklich mutig genug, um wieder in diesen Keller hinunterzugehen und mich allem zu stellen, was dort passiert ist?
    Ein schlanker Arm, stark wie der eines Jungen, legte sich um ihre Schultern. Jenny unterdrückte die Tränen und stellte fest, dass alle sie anschauten. Audrey stand ganz ruhig da, ihr glänzendes kastanienbraunes Haar leuchtete im Licht des frühen Morgens wie Kupfer. In ihren haselnussbraunen Augen lag ein stiller, mitfühlender Ausdruck. Michaels rundes Gesicht war vollkommen ernst.
    Dee ließ ihren Arm auf Jennys Schultern ruhen und grinste wild.
    »Komm schon, Tiger. Lass es uns angehen«, sagte sie.
    Jenny stieß den Atem aus und versuchte, auf die gleiche Weise zu grinsen. »Wir müssen ums Haus herum. Da müsste, ähm, eine Steintreppe in den Keller führen und eine Hintertür sein. Falls mich meine Erinnerung nicht
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