Die Entfuehrung

sich unter dem Gewicht auf ihrem Rücken hervor. Es bewegte sich endlich, und sie schaffte es, sich frei zu strampeln. Was sie jetzt zu ihrer Überraschung sah, war eine andere Maus. Ein Mäusejunge. Er kam auf die Füße, und Tibby sah sich einem Jungen gegenüber, der ungefähr genauso alt undgroß war wie sie selbst. Er hatte rotbraunes Fell und trug einen bunten Wollschal.
    »Wer bist du? Und wo bist du hergekommen?«, fragte Tibby Rose verblüfft.
    »Ich heiße Alistair – und ich glaube, ich bin von dort gekommen«, sagte der Rotbraune und deutete zum Himmel. Er klang gleichermaßen verblüfft. »Wo bin ich gelandet?«
    »Auf mir! Tibby Rose. Was machst du hier?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Alistair stirnrunzelnd. »Ich weiß nur noch, dass ich ein Klopfen am Fensterladen gehört und ihn aufgemacht habe. Dann muss ich mir den Kopf angeschlagen haben oder so, denn ich bin erst wieder zu mir gekommen, als ... ich hier gelandet bin. Wo ist hier eigentlich?«
    »Tempelton«, sagte Tibby Rose.
    »Nie davon gehört«, sagte Alistair. »Wie kann ich aus dem Fenster gefallen und an einem Ort gelandet sein, von dem ich noch nie gehört habe?«
    »Keine Ahnung«, sagte Tibby Rose. Wirklich eine seltsame Sache. »Wo war denn das Fenster, aus dem du gefallen bist?«
    »Smiggins«, sagte Alistair.
    »Davon hab ich noch nie gehört«, sagte Tibby Rose. »Komm am besten erst mal mit rein und rede mit Großvater Nelson und Großtante Harriet.« Und sie ging voran in das große Holzhaus.

    Großvater Nelson saß am Küchentisch und hatte ein Auge auf Großtante Harriet, die unter dem Grill Toastscheiben röstete.
    »Nicht zu braun«, sagte er gerade, als Tibby Rose und Alistair eintraten.
    »Du kriegst ihn so braun, wie ich ihn mache«, erwiderte Großtante Harriet.
    Großvater Nelson sah eigentlich ganz freundlich aus, entschied Alistair, mit seinen runden Ohren und seinem runden Bauch und seinem schneeweißen Fell.
    »Ein Rotbrauner!«, sagte Großvater Nelson und klang erschrocken. »Noch ein Rotbrauner!«
    Großtante Harriet, die ihnen den Rücken zugekehrt hatte, fuhr herum. Ausnahmsweise stimmte sie mal mit ihrem Bruder überein. »Zweifelsohne«, sagte sie und starrte den rotbraunen Mäusejungen an. »Wer bist du? Wer ist das, Tibby Rose?«
    »Ich bin ... Alistair«, sagte der rote Mäusejunge etwas nervös.
    Großtante Harriet war groß und dünn und sah mit ihrem stahlgrauen Fell, den gesträubten Barthaaren und der scharfen, spitzen Schnauze ziemlich Furcht einflößend aus.
    »Er ist in Smiggins aus dem Fenster seines Zimmers gefallen und hat sich den Kopf angeschlagen. Dann ist er auf mir gelandet«, berichtete Tibby Rose.
    »Aus dem Fenster seines Zimmers?«, wiederholte Großvater Nelson argwöhnisch. »In Smiggins? Nie von Smiggins gehört. Liegt das jenseits von Grantel?«
    »Grantel?«, fragte Alistair ungläubig. »Aber Grantel liegt doch in Souris.«
    »Na klar in Souris«, sagte Tibby Rose. »Da wohnen wir doch.«
    »Junger Mann«, sagte Großtante Harriet streng, »wo genau liegt denn dieses Smiggins?«
    »Südlich von Schadder natürlich – in Schetlock.«
    »Schetlock!«, johlte Großvater Nelson. »Du musst ja ganz schön was auf den Kopf bekommen haben, mein Junge. Man bräuchte mindestens eine Woche, um von hier nach Schetlock zu gelangen – wenn man den direkten Weg nehmen würde. So was schafft man nicht mit einem Sturz aus dem Fenster.«
    »Aber ... das kann nicht sein«, sagte Alistair. »Das ... das muss ein Traum sein. Genau, es wird auch gerade so dunkel und schwummerig. Ich wache bestimmt gleich auf.«
    »Mist!«, kam Großtante Harriets Stimme durch den Dunst. »Der Toast!«
    Als sich der Rauch verzog, nachdem Großtante Harriet ordentlich mit dem Geschirrtuch gewedelt hatte, blickte Großvater Nelson bekümmert auf den Teller vor sich. »Zu braun«, sagte er.
    »Genau richtig«, wies ihn Großtante Harriet zurecht und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Alistair zu. »Was um alles in der Welt hast du denn für eine Mutter, die dich so allein herumlaufen lässt, wo du doch eindeutig ein ziemlich verwirrter Mäusejunge bist?«
    Alistair sah sie mit dem Blick eines unglücklichen Mäusejungen an, der gerade begriffen hatte, dass er nicht träumte. »Meine Mutter ...«, begann er, dann verstummte er. »Meine Mutter und mein Vater sind tot«, fuhr er fort. »Mein Bruder und meine Schwester und ich wohnen bei Tante Beezer und Onkel Ebenezer ... in Smiggins ... in Schetlock.«
    Tibby Rose setzte