Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
zogen Halstücher, Röckeund Hauben zurecht und sahen erwartungsvoll der Zeremonie entgegen.
    Der Neuankömmling ließ sich, immer noch atemlos, neben seine glücklich lächelnde Braut auf die erste Bank fallen, griff mit der Rechten ihre Hand, mit der Linken nach seinem großen blauen Tuch und wischte sich eilig die schwitzende Stirn.
    «Und wo», fragte da Karla sanft in die plötzlich eintretende Stille, «wo ist jetzt der Herr Pastor?»
    ***
    «Ich habe es mir doch gedacht!» Merthe stand in der Tür zur Druckerei und sah wie ein wandelndes Strafgericht auf ihre Schwägerin hinab. «Lettern sortieren – was für ein Unsinn. Lass das die Männer machen, die verstehen mehr davon und haben die ganze Nacht geschlafen. Du bist so müde, dass du kaum eine in das richtige Fach legen wirst. Geh endlich schlafen, Maria-Luise.»
    Luise zuckte zusammen. Niemand nannte sie bei ihrem vollen Vornamen, außer Merthe, wenn sie zornig war.
    «Bald, Merthe», sagte sie. «Ich kann jetzt nicht schlafen, und die Lettern müssen doch   …»
    «Wir machen das schon, Madame Boehlich», unterbrach Hachmann sie sanft und warf Merthe einen dankbaren Blick zu. «Wenn die Mädchen kommen, geht es ganz fix. Na ja, ziemlich fix. Ein paar Tage wird es dauern, aber das schaffen wir schon.» Hachmann hatte, kaum dass die Männer von der Wedde und der Arzt gegangen und der Tote abgeholt worden war, nach seinen Töchtern geschickt. Alle vier konnten lesen und schreiben, kaum schlechter als er selbst, alle hatten flinke Finger undeinen schnellen Verstand, was oft lästig war, aber in diesem Fall von großem Vorteil. «Versucht zu schlafen, Madame, es war ein schlimmer Morgen nach einer schweren Nacht. Und um das da», fügte er bedächtig hinzu und zeigte mit dem Daumen über die Schulter, «kümmern wir uns auch.»
    ‹Das da› meinte den blutigen Fleck auf dem Boden hinter der letzten Presse.
    «Wenn du meinst.» Sie wusste, dass es mit ‹ein paar Tagen› nicht getan sein würde, auch Hachmann wusste das, aber sie stand auf, strich umständlich ihre staubigen Röcke glatt und blickte prüfend in die Gesichter der Männer, die auf dem Boden hockten und versuchten, aus dem Haufen bleierner Klötzchen die zusammengehörigen herauszuklauben.
    Zunächst hatte das Durcheinander der Lettern total ausgesehen, doch als Luise sie zusammenschieben und in Schüsseln füllen wollte, hatte Peters, der älteste der Setzer, ihren Arm festgehalten. ‹Nein›, hatte er gesagt und sich blinzelnd über die Lettern gebeugt. Wer immer das gemacht habe, habe die Kästen nicht einfach runtergeworfen, sondern schnell und aus niedriger Höhe umgedreht. Der Weddemeister habe das auch vermutet, obwohl der gewiss nichts von ihrer Arbeit verstehe. Eine ganze Menge von gleichen Buchstaben liege noch beieinander. Am besten, man lasse sie so und sortiere sie vom Boden. Das könne viel Zeit sparen.
    «Aber morgen   …»
    «Morgen sehen wir weiter», rief Merthe ungeduldig. «Morgen wirst du auch ohne die Sortiererei genug zu tun haben. Seit Abrahams Heimgang arbeitest du für zwei, nun wirst du für drei arbeiten müssen, bis du einenneuen Faktor gefunden hast. Wenn Hachmanns Töchter nicht reichen, finden wir noch ein paar andere, die uns helfen. Nun komm.»
    Schlafen. Das war leicht gesagt. Behutsam öffnete sie die Tür zu Onnes Zimmer. Das Kind wenigstens schlief, immer noch bleich, aber doch mit rosigen Wangen und ruhigem Atem. Er hatte den ganzen Vormittag geschlafen und die Aufregung, die fremden Schritte und Stimmen im Hof und in der Druckerei nicht bemerkt. Sie seufzte erleichtert. Am Nachmittag würde sie ihm von dem neuen Unglück, das die Familie getroffen hatte, erzählen.
    In dem Schlafzimmer mit dem großen Bett, in dem sie seit fast einem Jahr alleine schlief, stieß sie die Fensterflügel auf und atmete tief die frühlingsmilde Luft. Der Hof lag verlassen, Hachmann hatte die Riegel am Außentor vorgeschoben und so auch die letzten Gaffer auf der Straße vertrieben.
    Aus der weit geöffneten Tür der Druckerei hörte sie die Stimmen der Männer. Lachte da nicht sogar einer? Leise, gewiss, aber es war eindeutig ein Lachen gewesen.
    Cornelis Kloth war tot. Das hatte sie gleich gewusst, als sie ihn fand. Der reglose Körper, die starren Augen, der halb geöffnete Mund ließen keinen Zweifel. Er hatte beinahe friedlich ausgesehen, das hörte man oft von Toten, sie war sicher, diesen Anblick nie vergessen zu können. Sie hatte geglaubt, er sei gestürzt und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher