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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode
Autoren: Petra Oelker
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habe nicht gedacht, dass Rosina so früh kommen werde, erklärte Karla, das Ankleiden gehe doch rasch. Sie habe nur auf die Sonne gewartet, schließlich sei es ein besonderer Tag.
    «Schau nur. Ist der Morgen nicht schön?» Ihre hellen Augen glänzten wie die eines Kindes, und Rosina ließ sich aufseufzend auf einen runden Stein sinken. Sie war schlank, auf der Bühne glänzte sie in Hosenrollen und als Tänzerin, nie hatte sie sich als grobe oder gar plumpe Person gesehen, niemand tat das. Aber neben Karla, die mit ihren fast achtzehn Jahren doch nur einige Jahre jünger war als sie, fühlte sie sich wie eine Matrone. Breit, abgeklärt, sogar blind für den Zauber eines sonnigen Frühlingsmorgens.Es war lange, sehr lange her, dass sie selbst die Welt mit so staunenden Augen erfahren hatte.
    «Schau», sagte Karla noch einmal und zeigte auf die im Wasser schaukelnden Entenmütter mit ihren flaumigen Küken, auf die leuchtenden Sumpfdotterblumen im Gras und die rosafarbenen und violett gefärbten Morgenwolken über den Dächern. Der Morgen war wirklich schön, und für einen Moment war Rosina froh über Karlas Eskapade. Es hätte schlimmer sein können. Immerhin hatte sie sie gleich gefunden. Manchmal, so hatte Matti besorgt berichtet, verlasse sie das Haus auch mitten in der Nacht. Sie sei somnambul, nur hin und wieder, doch sie bedürfe deshalb besonderer Fürsorge, es sei sehr zu hoffen, dass dies den jungen Ehemann nicht überfordern werde.
    Im Moment, dachte Rosina wütend, als sie nun vor das Kirchenportal trat, ist es der junge Ehemann, der uns alle überfordert.
    «Wo kann er nur sein?», fragte sie Jean, der vor der Kirche stand und sein Gesicht in die Sonne hielt. Als Prinzipal und Heldendarsteller der Becker’schen Komödiantengesellschaft fühlte er sich verpflichtet, seinem Gesicht schon mit der ersten Frühlingssonne die kräftige Farbe zu geben, die einen verwegenen Mann auf den ersten Blick erkennen ließ.
    «Du machst dir mal wieder zu viele Sorgen, Rosina», sagte er gut gelaunt, «unnötig und zu früh. Es kann doch erst kurz vor zehn sein.»
    «Richtig, kurz vor zehn. Um halb zehn sollte er hier sein. Er kommt doch sonst nie zu spät.»
    «Vielleicht hat er es sich anders überlegt», murmelte Jean und zupfte ein Staubkörnchen von seinem kirschroten Samtrock, der wie die Kniehosen aus silbergrauemSatin zu den besten Stücken aus den Kostümkörben gehörte. Nur mit Mühe hatte Helena, amtlich angetraute Madame Becker und die erste Heroine der Gesellschaft, verhindern können, dass er auch noch eine frisch gepuderte Perücke über sein volles, noch fast schwarzes Haar stülpte. Die mächtige schwarze Seidenschleife in seinem Nacken schien ihm zwar nur eine geringe Entschädigung für die Pracht aus weißen Locken, aber vornehmer, da hatte er seiner Frau schließlich widerwillig zugestimmt, sei die schlichtere Eleganz. Jedenfalls am Vormittag und in dieser Stadt im Norden. In den südlichen Städten, in denen die Becker’sche Gesellschaft bei ihren Reisen durch die deutschen Länder auch hin und wieder spielte, galt weißer Puder auf dem Kopf auch um diese Stunde immer noch als Zeichen der Bedeutung eines Mannes. Eine ungepuderte Perücke wäre wohl passend gewesen, doch wozu brauchte die ein Mann, der so prächtiges volles Haar hatte wie er?
    Jeans Verdacht erschien Rosina keiner Antwort wert. «Vielleicht sollten wir Titus oder Fritz bitten, nach ihm zu sehen», schlug sie vor.
    «Besser nicht. Von seinem Zimmer in der Neustadt führen so viele verschiedene Straßen und Gänge hierher. Wer weiß, welchen Weg er heute nimmt. Warum gehst du nicht wieder hinein, Rosina, und unterhältst die Leute mit diesem neuen Lied, das wir gestern geprobt haben? Das vertreibt allen die Zeit und dann ist Wagner sicher da.»
    «Das hier ist eine Kirche, Jean.» Rosina lachte, die Sorglosigkeit ihres Prinzipals, seine Fähigkeit, Hindernisse und Gefahren einfach zu ignorieren, erzürnte sie oft, doch heute tat sie ihr gut. Er war so überzeugt vonder Kunst der Komödianten, dass er nie darüber nachdachte, ob sie gerade passte oder nicht. «Karla würde es sicher gefallen, aber ich glaube kaum, dass der Pastor ein Schäferlied vor dem Altar gutheißt. Selbst wenn der Text englisch ist. Hoffen wir, dass Wagner bald kommt. Es ist schrecklich kalt dort drinnen, wenn es noch lange dauert, erfriert ihm seine Braut. Karla weigert sich, ihr neues Kleid unter einem Schultertuch zu verstecken.»
    Sie warf einen letzten
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