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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel
Autoren: Aurélien Molas
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durchzuckten, von Blau- und Rottönen gesättigten Nacht gelang es nicht, den Dreck, der die Place Joachim-du-Bellay übersäte, zu kaschieren. Um den Brunnen herum saßen Trauben von Halbwüchsigen und rauchten den Shit, den sie in den Gärten der Pariser Markthallen gekauft hatten. Fantasten in Lumpen lungerten auf den Gässchen herum und redeten Geister an. Aus den thailändischen Restaurants drangen scharfe, würzige Gerüche, die den schweren Duft der Stadt überdeckten. Der Regen hatte die Straßen nicht von dem ganzen Schmutz gesäubert, den die Fassaden ausschwitzten. Die gleichen schwarzen Flecken tropften wie mit Kajal umrandete Augenringe von den Fenstern herab und bissen sich mit der Schminke bunt bemalter Ladenschilder.
    Léo schlenderte lange ziellos vor sich hin, mitgerissen von der heimlichen Dynamik von Paris. Seine Muskeln waren steif – sie glühten wie nach einem Langlauf, und die letzten Worte seines Chefs ließen ihm keine Ruhe: » Du solltest keinen Kontakt mehr mit Alain und mir haben. Du warst nicht an den Ermittlungen in Jarnages beteiligt, von daher haben die Typen vom Dezernat für interne Ermittlungen keinen Grund, dich aufs Korn zu nehmen. Ich will, dass du dich fernhältst und dich auf diesen neuen Fall konzentrierst. Die Kommissarin kann dich nicht feuern, wenn du ihr die Täter auf dem Silbertablett servierst. «
    Er stand gerade vor der Porte Saint-Denis, einem düsteren Triumphbogen, da vibrierte sein Handy dreimal. Er klickte auf den E-Mail-Eingang.
    »Ich bin in Le Havre. Lässt sich schlecht an. Ich habe dir Fotos von dem geschickt, was ich gefunden habe. Alain Broissard.«
    Der Download der angehängten Datei zog sich hin. Als er das Bild sah, spürte Léo, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat, und er klappte das Handy zu.
    Vergeblich versuchte er sich auf den Himmel und die Dunkelheit zu konzentrieren, kein schwarzer Schleier konnte das abscheuliche Bild überdecken, das vor seinen Augen schwebte.

5
Paris,
Quai des Orfèvres 36,
Mordkommission
    Blandine Pothin, verspätet wie immer, winkte den übermüdeten Polizisten zu, die aus den Einsatzfahrzeugen ausstiegen und sich in den ersten Sonnenstrahlen rekelten.
    Die junge Frau stürmte in das lang gestreckte Gebäude aus Quadersteinen und verzog das Gesicht, als ihr der übliche Gestank, der im Hauptkommissariat herrschte, den Atem verschlug. Körper, die auf den Sitzen im Empfangsbereich zusammengesackt waren, schliefen schnarchend ihren Rausch aus, neben ihnen saßen Jugendliche in Handschellen. Aus den Ausnüchterungszellen schlug ihr der Geruch von betrunkenen Körpern entgegen – sie beeilte sich, die Dunstschwaden hinter sich zu lassen, und erklomm schon die Treppe bis zum dritten Stock.
    Der Versammlungsraum war von dem Qualm von Zigaretten und Zigarillos erfüllt. Die Teams von Zivilpolizisten wurden langsam wach und zogen sich gegenseitig auf, während sie auf die Verteilung der Dienstaufträge warteten. Hinter den Fenstern wich die Dunkelheit im Osten allmählich dem siegreichen Morgengrauen, und die nächtliche Raserei legte sich nach und nach im Rhythmus der Lastkähne, die den Fluss durchfurchten.
    Der Commandant, ein schlanker, vornehmer Mann im tadellosen anthrazitfarbenen Anzug, betrat den Saal mit einem Stoß Akten unter dem Arm und wandte sich an die Polizisten, die vor ihm saßen.
    »Ruhe bitte ... Ihnen allen einen guten Morgen. Beginnen wir mit den schlechten Nachrichten: Zwei Kollegen von der Kriminalpolizeidirektion Argenteuil wurden in der letzten Nacht schwer verletzt. Beide befinden sich in Lebensgefahr.«
    Diese Worte wurden mit einem dumpfen Murmeln aufgenommen. Blandine nutzte diesen Moment, um sich in den Saal zu schleichen und sich unauffällig zu ihrem Kollegen zu gesellen. Paul Garcia tippte mit dem Finger tadelnd auf seine Armbanduhr.
    »Nun, was uns betrifft ... nichts besonders Aufregendes, soweit ich sehe«, fuhr der Commandant fort und blätterte dabei die Seiten durch, die er in der Hand hielt. »Ein Obdachloser, der im Canal Saint-Martin ertrunken ist. Es handelt sich wohl um einen Herzinfarkt infolge eines Kaltwasserschocks. 2,9 Promille im Blut. Aber man hat ihn mit blauen Flecken und dem ganzen Trara aus dem Wasser gezogen. Bei dem Opfer handelt es sich um einen etwa vierzigjährigen Schwarzen. Geht behutsam vor, es gibt Vereinigungen, die bereits von einem rassistisch motivierten Verbrechen sprechen«, sagte er, während er zwei Beamten ein Blatt hinhielt. Sie nahmen es
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