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Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals
Autoren: Alexander Nemirowski
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als „Sohn des Gottes Melkart" und forderten das Volk auf, für ihn zu beten. Viele erinnerten sich reuevoll daran, wie wenig Hilfe Hannibal während seiner italischen Feldzüge von Karthago erhalten hatte. Trotzdem war er siegreich gewesen. Wenn er jetzt sämtliche Schiffe und neu rekrutierten Truppen erhielt, würde er Karthago bestimmt retten.
    Aber Hannibal wußte, wie trügerisch jede Hoffnung auf einen Sieg war. Er hatte nur zwölftausend Krieger mit zurückgebracht, weil er die übrigen unter Magons Kommando im Norden von Italien zurücklassen mußte. Und nur die Götter wußten, ob es Magon gelingen würde, sich nach Karthago durchzuschlagen, oder ob auch ihn Hasdrubals Schicksal erwartete. Die Truppenaushebung würde höchstens zehn- bis zwölftausend Rekruten erbringen, größtenteils Handwerker. Und wenn man diese Leute von ihrer Arbeit wegriß, wer würde dann die Waffen schmieden und die Schiffe bauen? Wer würde die Fische fangen, die den Karthagern zur Zeit Öl und Brot ersetzten? Denn jetzt trafen keine Kornschiffe mehr aus Sizilien und Iberien ein. Auch die iberischen Silberbergwerke befanden sich jetzt in römischem Besitz, und keine iberische Stadt zahlte mehr Tribute an Karthago.
    Der römische Feldherr Publius Scipio verfügte über fünfunddreißigtausend erprobte Kavalleristen. Und dazu würden noch die zahlreichen Reiter Masinissas stoßen! 
     
     
Freiheit
     
    Dukarion beugte den Kopf über die Fluten der heimatlichen Adda und trank in tiefen Zügen. In dem klaren Wasser spiegelte sich sein Gesicht mit der Schwertnarbe an der rechten Wange und dem wüsten Bart. 
    Fünf Tage lang war Dukarion durch Wälder und Sümpfe geflohen und hatte sich vor jedem Menschen versteckt gehalten, obwohl ihn niemand verfolgte. Der Waffenlärm, die Trompetentöne der Elefanten, das Gewieher durchgehender Pferde, die ihre verwundeten oder getöteten Reiter hinter sich herschleiften, dröhnten ihm noch immer in den Ohren. Ständig stand ihm Magon mit dem römischen Speer in der Brust vor Augen. Weder die Amulette, die Magon um den Hals trug, noch die Silberrüstung, die von einem römischen Konsul stammte, hatten ihn gegen den Speer geschützt.
    Die unsterblichen Götter können bezeugen, daß ich kein Verräter bin, sagte der einsame Mann in Gedanken zu dem fernen Hannibal. Beim Überfall der Römer war ich an Magons Seite, und ich habe ihm an Tapferkeit nicht nachgestanden. Erst als Magon fiel, bin ich geflohen. Viele Krieger aus meiner Einheit sind mir gefolgt. Doch offenbar gelang es keinem einzigen, den römischen Kavalleristen zu entrinnen. Der Speer, der Magon tötete, befreite mich von dem Schwur, den ich dir gab, bevor du dein Schiff bestiegst. Und ich schwöre dir aufs neue, daß ich Magon nie verlassen hätte, wenn er noch unter den Lebenden weilte. 
    Als Dukarion sich aufrichtete, fiel sein Blick auf die halbverfallenen Gräben am rechten Flußufer. Hier hatte Flaminius sein Lager gehabt. Das von den Legionären zertrampelte Gras hatte sich längst wieder aufgerichtet. Die Sonne ging unter. In den kleinen Buchten am Ufer quakten die Frösche. Es raschelte im Schilf - eine aufgescheuchte Schlange kroch vorbei. Im Wasser sprang plätschernd ein Fisch. Diese Geräusche kannte Dukarion aus seiner Jugend. Einstmals war er mit dem Nachen an den Ufern der Adda entlanggerudert und hatte seine Netze in den klaren Fluten ausgeworfen. Die Narben, die er zu jener Zeit auf dem Körper trug, stammten nicht von feindlichen Schwertstreichen, sondern von scharfen Riedgräsern, und sein Sack enthielt keine goldenen Ringe, die er Toten von den Fingern gezogen hatte, sondern Weizenfladen aus der Hand seiner Mutter.
    Er riß sich den Sack ab, der alles enthielt, was er in den dreizehn Jahren seines Kampfes gegen die Römer erbeutet hatte, und schleuderte ihn in die Fluten - ein reiches Opfer für den Flußgeist der Adda. Nachts langte er in seinem Heimatdorf an. Dort brannten die Lagerfeuer, und alle Dorfbewohner waren noch auf den Beinen. Es war die Zeit der Weinlese, und sie zerstampften die Trauben mit bloßen Füßen in großen Holztrögen. In breitem Strahl floß der Beerensaft in die bereitgestellten Holzeimer und wurde anschließend in Fässer und Tonkrüge umgefüllt.
    Niemand erkannte Dukarion, keiner stürzte ihm jubelnd entgegen, keiner reichte ihm einen Becher mit Beerensaft. Er war in seinem Heimatdorf ein Fremder geworden. An der Stelle, wo einstmals sein Vaterhaus gestanden hatte, befand sich jetzt ein
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