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Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals
Autoren: Alexander Nemirowski
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hatte, setzte sich auf die flachen Ziegeldächer. Die Knaben kletterten auf die Bäume, die Sockel der Statuen und die Tempelmauern. 
    „Sie kommen!" dröhnte es durch die Stadt.
    „Es lebe Hamilkar!" rief jemand. Die Menschen klatschten Beifall. 
    Zwischen den hohen Häusern einer engen Gasse tauchte der erste Elefant auf. Über Rücken und Flanken war eine bunte Satteldecke gebreitet, auf der er einen lederbezogenen Gefechtsturm trug. Der Turm war unbesetzt; davor saß ein Mann, der einen Eisenstachel in der Hand hielt. Sein weiter Mantel wurde von einem schwarzen Stoffgürtel zusammengehalten. Unter dem weißen Turban funkelten lebhafte schwarze Augen. Würdevoll grüßte er mit dem Stachel, als gälte der Beifall ihm und nicht Hamilkar, der diese Elefanten der Republik Karthago geschenkt hatte.
    Sur, der Leitelefant, tappte vorsichtig durch die Straßen und beschnupperte dabei mit dem Rüssel den Fahrdamm. Zum erstenmal seit vielen Tagen hatte er keine schwankenden Schiffsplanken mehr unter den Füßen, sondern sonnenwarme Steine. Aber auch sie hatten einen unbekannten Geruch, den Geruch der Fremde. 
    „Drei... fünf... neun ... zwölf Elefanten!" zählten die Zuschauer. Zwölf indische Giganten! Noch niemals war eine Elefantenherde mit solcher Begeisterung in Karthago begrüßt worden.
    Die Ställe, die sich in der Stadtmauer befanden, faßten dreihundert Elefanten, doch der Krieg gegen die meuternden Sklaven und Söldner hatte sie geleert. Seitdem hausten hier die Landstreicher und Bettler, die man aus diesem Grunde spöttisch als Elefanten bezeichnete. Und den Rüssel ausstrecken hieß soviel wie betteln.
    Nun aber würden die gewaltigen Nischen in der Stadtmauer wieder echte Kampfelefanten aufnehmen.

    Die begeisterten Menschen geleiteten die Elefanten bis zu den mit Palmwedeln und Blumen geschmückten Ställen. Dann blieben sie trotz der Hitze davor stehen und sahen zu, wie die Elefanten von den indischen Treibern in die neue Behausung geführt und dort mit Rindertalg eingerieben wurden.
    In der Menge stand einer, der sich als Elefantenfachmann bezeichnete und schnell von Neugierigen umringt wurde. Er berichtete mit Feuereifer, wie stark, klug und vernunftbegabt die Elefanten seien. 
    „Im Krieg gegen Sizilien", sagte er, „war unser Lager etwa vier Meilen vom römischen Lager entfernt. In einer dunklen Nacht, als die erschöpften Krieger schliefen, erhoben die Elefanten plötzlich ein lautes Gebrüll. Daran erkannte unser Feldherr, daß sich der Feind näherte. Die Elefanten haben nämlich einen außerordentlich feinen Geruchssinn, und sie können den Gestank von gebratenen Zwiebeln, den die Römer an sich haben, auf den Tod nicht leiden." 
    Seine Zuhörer lachten.
    „Der Elefant ist das stärkste Tier auf Erden", fuhr der Mann fort. „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie ein Elefant einem Löwen den Hals umdrehte und ihn mit dem Rüssel hochschleuderte wie ein junges Kätzchen. Und im Krieg gegen die Römer wurde einmal die gesamte feindliche Kavallerie von nur drei indischen Elefanten vernichtet."
    Die Zuhörer belohnten diese patriotische Lüge mit lautem Beifall. 
    „Als wir in Marokko einmal nachts auf die Jagd gingen, erblickten wir plötzlich mehrere dunkle Hügel. Beim Näherkommen stellten wir fest, daß es Elefanten waren. Sie saßen im Kreise, hatten den Rüssel gen Himmel gereckt, schauten zum Mond auf und brüllten so kläglich, daß uns die Tränen kamen. Sie beteten zu Tanit, der Göttin des Mondes und der Liebe."
    Das ging einem Zuhörer nun doch zu weit. „Du willst uns wohl für dumm verkaufen!" schimpfte er. „Gib acht, daß dir keiner den Hals umdreht!"
    Erschrocken tauchte der Elefantenfachmann in der Menge unter.
    Nachmittags leerte sich der Platz vor den Ställen. Die Gaffer verzogen sich. Die Nußschalen und Kürbiskernhülsen, die sie zurückgelassen hatten, wurden von den Sklaven weggefegt.
    Die Inder fütterten die Elefanten und streckten sich dann im Schatten eines Feigenbaums aus, ermüdet von den neuen Eindrücken der fremden Stadt.
    Es dämmerte schon, als zwei Karthager und ein neunjähriger Knabe auf die Ställe zugingen. Es waren Hamilkar, der sich in einen langen schwarzen Umhang gehüllt hatte und Hannibal an der Hand führte, und sein Neffe Hasdrubal, ein fünfundzwanzigjähriger Jüngling, der den kurzen roten Überwurf eines Kavalleristen trug und wegen einer grauen Haarsträhne an der linken Schläfe von seinen Verwandten Greis genannt
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