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Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals
Autoren: Alexander Nemirowski
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goldenem Getreide oder mit Tongefäßen, die man Amphoren nannte und die Wein oder Öl enthielten. Auf der Straße liefen paarweise oder zu vieren aneinandergeschmiedet dunkel- oder hellhäutige Sklaven, die von den Besitzern der umliegenden Landgüter auf dem Markt am Hafen gekauft worden waren. Sie wurden bewacht von berittenen Posten, die kurze dunkelblaue Umhänge und schwarze Filzhüte trugen. 
    Aber der Vater ließ sich nicht sehen.
    Ob er sein Versprechen vergessen hat, mich nach Iberien mitzunehmen? dachte Hannibal unglücklich. Iberien! Welch aufregendes Wort! Es klingt nach dem Silber, das es dort in großen Mengen gibt, und nach den Wellen, die gegen die felsige Küste branden. Iberien! Das klingt nach Drachen und Riesen, die sonst nur in Märchen vorkommen.
    Der bevorstehende Feldzug nach Iberien beschäftigte nicht nur Hannibals Gedanken. Auch sein Vater Hamilkar dachte ständig an dieses Land, obgleich sein Schicksal eher mit Sizilien verbunden war. Damals, als die karthagische Flotte eine demütigende Niederlage nach der anderen erlitt, war Hamilkar über Nacht berühmt geworden, weil er von den Höhen des sizilianischen Berges Eryx kühne Überfälle auf die feindlichen Truppen unternommen und die angeblich unbesiegbaren römischen Legionen in die Flucht gejagt hatte. Daß Karthago Sizilien dann trotzdem verlor, war nicht die Schuld Hamilkars, sondern der karthagischen Flotte gewesen, denn sie hatte die Schlacht bei den Aegatischen Inseln verloren. Aus all diesen Gründen glaubten viele Karthager, daß Hamilkar nichts anderes im Sinne hätte, als die fruchtbare Insel Sizilien zurückzuerobern.
    Doch statt dessen rüstete er zu einem Feldzug nach Iberien. Das begriff keiner. War das etwa Feigheit oder gar Verrat? 
    Nach vielen Tagen, als Hannibal schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, holte der Vater ihn doch noch ab. Atemlos vor Freude und Eile nahm Hannibal Abschied von den Brüdern und kletterte auf den Wagen. Dumpf ratterten die Räder: „Auf in den Kampf! Auf in den Kampf!" Die Fußgänger sprangen zur Seite, um nicht von dem dahinrasenden Wagen überfahren zu werden.
    Aber als Hannibal den Vater näher betrachtete, schwand seine freudige Erregung. Hamilkar machte ein ebenso finsteres Gesicht wie damals, als Hannibal mit seinen Brüdern Römer und Karthager gespielt hatte. Und auch diesmal begriff der Junge ihn nicht. Zog der Vater denn nicht gern in den iberischen Feldzug?

    Vor dem Tempel des höchsten karthagischen Gottes, der Baal Ammon hieß, gab Hamilkar dem Sklaven ein Zeichen, die Pferde anzuhalten. Vater und Sohn verließen den Wagen und stiegen über Granitstufen, die von vielen tausend Füßen ausgetreten worden waren, zum Heiligtum hinauf. 
    Schwere schwarze Säulen stützten eine kunstvoll bemalte Decke. Das Licht der an Säulen und Wänden angebrachten Öllampen fiel auf die Ledersäcke und Metallgefäße, in denen die Opfergaben der Gläubigen verwahrt wurden. Ein wallender Purpurvorhang verbarg das Allerheiligste. Als er zur Seite glitt, erblickte Hannibal einen Altar und dahinter die Gestalt eines nackten bronzenen Jünglings. War er es, dem an Feiertagen Kinder geopfert wurden?
    Zaghaft folgte Hannibal dem Vater zum Altar. Er fror. Die kalten Steinfliesen und ein nur halbbewußtes Grauen ließen ihm das Blut in den Adern erstarren.
    „Lege die Hand hierher, mein Sohn!" Hamilkar zeigte auf den Rand des Altars. 
    Hannibal gehorchte.
    „Und nun sprich mir Wort für Wort nach: Mögen mich die Götter vernichten ..."
    „Mögen mich die Götter vernichten..."
    „wenn ich jemals ein Freund der Römer werde und die Demütigung meines Vaters..."
    „... die Demütigung meines Vaters..." 
    „und die Erniedrigung meines Vaterlandes..." 
    „... die Erniedrigung meines Vaterlandes..." 
    „nicht an ihnen räche." 
    „nicht an ihnen räche." 
    Hannibal erlebte viele Wechselfälle des Schicksals. Es trug ihn auf den Gipfel des Ruhms, trieb ihn von Land zu Land, von Stadt zu Stadt. Doch überall und jederzeit sah er vor sich den von flackernden Öllampen erleuchteten Tempel, den Purpurvorhang und den Altar, und immer klang ihm die Stimme des Vaters wie das Angriffssignal einer Trompete in den Ohren. Er vergaß die Worte des Schwurs, aber er hielt ihm sein Leben lang die Treue.
     
     
Im fremden Land
     
    Einen ganzen Monat brauchte das Heer für den Weg nach Iberien. Wüsten, Grassteppen, neue Wüsten. Jeder Tagesmarsch entfernte Hannibal nicht nur von Karthago, sondern auch von
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