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Die Eisprinzessin schläft

Die Eisprinzessin schläft

Titel: Die Eisprinzessin schläft
Autoren: Camilla Läckberg
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brannte nicht eine Lampe. Zwar fehlten noch ein paar Stunden bis zum Abend, aber die Nachmittagsdämmerung war bereits angebrochen, und die Schatten fielen weit. Aus dem Zimmer, das geradeaus lag, erklang gedämpftes Schluchzen. Erica zog Schuhe und Mantel aus. Sie ertappte sich selbst dabei, alles äußerst leise und vorsichtig zu tun, denn die Stimmung im Haus gestattete nichts anderes. Ulla verschwand in der Küche und ließ Erica allein weitergehen. Als sie das Wohnzimmer betrat, verstummte das Weinen. In einer Polstergarnitur, die vor einem riesigen Panoramafenster stand, saßen Birgit und Karl-Erik Carlgren und hielten sich krampfhaft aneinander fest. Über ihre Gesichter zogen sich nasse Streifen, und Erica hatte das Gefühl, einen sehr privaten Bereich zu betreten. Einen Raum, in den sie vielleicht nicht hätte eindringen sollen. Doch jetzt war es zu spät, um es sich anders zu überlegen. Vorsichtig setzte sie sich auf das Sofa gegenüber und faltete die Hände im Schoß. Noch immer hatte niemand ein Wort gesagt.
    »Wie hat sie ausgesehen?«
    Erica hatte Birgits Frage zuerst fast nicht verstanden. Die Stimme klang dünn wie die eines Kindes. Sie wußte nicht, was sie antworten sollte. »Einsam«, brachte sie schließlich heraus und bereute es sofort.
    »Ich habe nicht gemeint .« Der Satz brach ab und ging im Schweigen unter.
    »Sie hat sich nicht das Leben genommen!« Birgits Stimme hatte mit einemmal Kraft. Karl-Erik drückte die Hand seiner Frau und nickte zustimmend. Vermutlich sahen sie die Skepsis in Ericas Gesicht, denn Birgit wiederholte noch einmal: »Sie hat sich nicht das Leben genommen! Ich kenne sie besser als irgendwer sonst, und ich weiß, daß sie nie imstande gewesen wäre, sich das Leben zu nehmen. Dazu fehlte ihr der Mut! Du mußt es doch auch wissen. Du hast sie doch gekannt!«
    Mit jeder Silbe richtete sie sich ein bißchen mehr auf, und Erica sah, daß sich in ihren Augen ein Funken entzündete. Immer wieder öffnete und schloß Birgit die Hände und schaute Erica direkt in die Augen, bis eine von ihnen gezwungen war, den Blick abzuwenden. Es war Erica. Sie sah sich statt dessen im Zimmer um. Nur um die Trauer von Alexandras Mutter nicht sehen zu müssen.
    Das Zimmer war gemütlich eingerichtet, aber ein bißchen zu herausgeputzt für Ericas Geschmack. Die Gardinen hatten eine raffinierte Aufhängung und dicke Volants, und sie paßten zu den Sofakissen, deren Bezüge aus demselben großblumigen Stoff genäht waren. Auf jeder freien Fläche stand irgendein Zierat. Geschnitzte Holzschalen in Kunstgewerbeart, mit bestickten Dekorationsbändern geschmückt, teilten sich den Raum mit Porzellanhunden, deren Augen ewig feucht schienen. Was das Zimmer rettete, war das Panoramafenster, durch das man eine phantastische Aussicht hatte. Erica hätte diesen Moment am liebsten festgehalten, sie wünschte, einfach weiter durch das Fenster schauen zu können, statt in die Trauer dieser Menschen hineingezogen zu werden. Dennoch sah sie die Carlgrens erneut an.
    »Birgit, ich weiß wirklich nicht. Es ist ja fünfundzwanzig Jahre her, daß Alexandra und ich befreundet waren. Ich weiß eigentlich nichts darüber, wie sie gewesen ist. Manchmal kennt man jemanden ja auch nicht so gut, wie man denkt .«
    Als die Worte gegen die Wände prallten, hörte Erica selbst, wie lahm ihr Einwand klang. Diesmal antwortete Karl-Erik. Er löste sich aus Birgits Griff und beugte sich vor, als wollte er sichergehen, daß Erica nicht ein Wort von dem verpaßte, was er zu sagen hatte.
    »Ich weiß, es klingt, als wollten wir das Geschehene nicht wahrhaben, und vielleicht machen wir im Moment auch nicht gerade einen gefaßten Eindruck, aber selbst wenn sich Alex aus irgendeinem Grund das Leben nehmen wollte, hätte sie es nie, ich wiederhole: nie, auf diese Weise getan! Du erinnerst dich doch noch, was für fürchterliche Angst Alex vor Blut hatte. Selbst wenn sie sich nur ein kleines bißchen geschnitten hatte, wurde sie vollkommen hysterisch, bis endlich ein Pflaster auf der Wunde klebte. Sie wurde sogar ohnmächtig, wenn sie Blut sah. Deshalb bin ich vollkommen überzeugt, daß sie sich zum Beispiel eher für Schlaftabletten entschieden hätte. Es ist absurd, anzunehmen, daß Alex es fertiggebracht hätte, eine Rasierklinge zu benutzen und sich selber damit die Adern aufzuschneiden, erst an einem Arm und dann am anderen. Außerdem ist es genau so, wie meine Frau gesagt hat. Alex war schwach. Sie war keine mutige Person.
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