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Die Eisprinzessin schläft

Die Eisprinzessin schläft

Titel: Die Eisprinzessin schläft
Autoren: Camilla Läckberg
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Boden. Sie hatte es sich nie leisten können, ihm ein ordentliches Bett zu kaufen.
    Anfangs hatte sie versucht, ihm zu helfen, sein Zuhause und sich selbst ansehnlich zu halten. Hatte gewischt, geräumt, seine Sachen gewaschen und mindestens genausooft auch ihn selbst. Damals hatte sie noch gehofft, daß sich alles bald ändere. Daß sich die Sache von ganz allein geben würde. Das war jetzt viele Jahre her. Irgendwann auf diesem Weg hatte sie keine Kraft mehr gehabt. Jetzt begnügte sie sich damit, ihn wenigstens mit Lebensmitteln zu versorgen.
    Sie wünschte oft, daß sie noch imstande wäre, mehr zu tun. Die Schuld lastete schwer auf Brust und Schultern. Wenn sie früher auf dem Boden gekniet und sein Erbrochenes weggewischt hatte, war ihr manchmal so gewesen, als würde sie in dem Moment ein wenig von der Schuld abbezahlen. Jetzt trug sie diese Schuld ohne jede Hoffnung.
    Sie betrachtete ihn, wie er dort zusammengekrümmt an der Wand lehnte. Ein stinkendes Wrack, doch steckte unter der schmutzigen Oberfläche ein gewaltiges Talent. Unzählige Male hatte sie überlegt, was wohl geworden wäre, wenn sie sich an jenem Tag anders entschieden hätte. Tag für Tag, die ganzen fünfundzwanzig Jahre lang, hatte sie sich gefragt, wie sich das Leben wohl gestaltet hätte, wenn sie zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit zum Grübeln.
    Manchmal ließ sie ihn auf dem Boden liegen, wenn sie ging. Doch heute nicht. Die Kälte von draußen drang herein, und durch ihre dünnen Strumpfhosen fühlte sie, wie eiskalt der Fußboden war. Sie zog an seinem Arm, der schlaff und unbeweglich herunterhing. Keine Reaktion. Mit beiden Händen um sein Handgelenk schleppte sie ihn zur Matratze. Sie versuchte ihn auf die Unterlage zu wälzen und erschauerte leicht, als sie die Hände gegen das wabbelige Fett der Taille drückte. Nach einigem Gezerre war es ihr gelungen, den größten Teil seines Körpers auf die Matratze zu hieven, und da es keine Decke gab, holte sie seine Jacke aus dem Flur und legte sie über ihn. Die Anstrengung ließ sie keuchen, und sie setzte sich auf den Boden. Ohne die Kraft in den Armen, die ihr das langjährige Putzen verschafft hatte, würde sie in ihrem Alter das hier niemals zuwege bringen. Sie ängstigte sich vor dem Tag, an dem nicht einmal ihr Körper mehr mitspielte. Was würde wohl dann geschehen?
    Eine Strähne des fettigen Haares war ihm übers Gesicht gefallen, und sie strich sie mit dem Zeigefinger zärtlich zur Seite. Das Leben war für keinen von ihnen so geworden, wie sie es sich vorgestellt hatte, doch den Rest ihrer Tage würde sie nutzen, um das wenige, was sie noch besaßen, zu erhalten.
    Die Leute schauten weg, wenn sie ihr auf der Straße begegneten, aber nicht schnell genug, um ihr Mitleid zu verbergen. Ihr Sohn Anders war im ganzen Dorf verrufen, gehörte zu der lokalen Clique der Saufbrüder. Manchmal strich er stockbesoffen auf wackligen Beinen durch den Ort und schrie allen, denen er begegnete, Beschimpfungen hinterher. Ihm brachte man Abscheu und ihr Sympathie entgegen. Eigentlich hätte es umgekehrt sein sollen. Sie verdiente, daß man sie verabscheute, und Anders sollte alle Sympathien genießen. Ihre Schwäche hatte sein Leben geformt. Doch nun würde sie nie wieder schwach sein.
    Mehrere Stunden blieb sie sitzen und strich ihm über die Stirn. Manchmal bewegte er sich in seiner Bewußtlosigkeit, doch ihre Berührung beruhigte ihn. Vor dem Fenster ging das Leben seinen gewohnten Gang, im Zimmer aber stand die Zeit still.
     
    Der Montag kam mit Plusgraden und schweren Regenwolken. Erica war schon immer eine vorsichtige Autofahrerin gewesen, aber jetzt mäßigte sie das Tempo noch mehr, um Spielraum zu haben, falls sie ins Schleudern geraten sollte. Autofahren war nicht ihre starke Seite, doch saß sie lieber allein im Wagen, als sich im Expreßbus oder Zug mit anderen zu drängen.
    Als sie nach rechts zur Autobahn abbog, wurde der Zustand der Fahrbahn besser, und sie wagte es, die Geschwindigkeit leicht zu erhöhen. Sie sollte Henrik Wijkner um zwölf Uhr treffen, aber da sie frühmorgens von Fjällbacka losgefahren war, blieb ihr genügend Zeit für die Strecke nach Göteborg.
    Zum erstenmal dachte sie wieder an das Gespräch mit Anna. Es fiel ihr noch immer schwer, zu glauben, daß ihre Schwester tatsächlich den Verkauf des Hauses durchsetzen wollte. Es war doch schließlich ihrer beider Elternhaus, und Vater und Mutter wären
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