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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
Autoren: A.D. Miller
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aufzukommen, sobald der Terminal gebaut sei. Der Gang an die Börse wurde verschoben. Die diversen Ministerien, an die wir unsere Gesuche richteten, richteten uns aus, wir sollten uns verpissen, wenn auch nicht ganz so unhöflich. Von Wjatscheslaw Alexandrowitsch, dem Inspektor, haben wir nie wieder etwas gehört. Sie müssen ihn ziemlich früh auf ihre Seite gezogen haben, vermutlich schon damals, als er zum ersten Mal verschwand, um dann mit gefälschten Berichten zurückzukehren. Mit Drohungen. Oder mit Geld. Oder mit Frauen. Vielleicht war es auch alles zusammen. Ich mache ihm deshalb keinen Vorwurf. Aus Sicht unserer Firma$Z$war nur tröstlich, dass unser Arktis-Debakel in einer Flut weit schlimmerer Nachrichten aus Russland unterging: die großen Enteignungen in Moskau, die Panzer unten im Kaukasus, Furcht und Missgunst, die im Kreml aufflammten und sich vom Roten Platz aus über den ganzen schäbigen, fassungslosen Kontinent auszubreiten schienen. Wir wurden mit ein paar Zeilen im
Wall Street Journal
und der
Financial Times
erwähnt und kamen recht ehrenhaft in einem Artikel davon, den Steve Walsh über naive Banker im Wilden Osten zusammenstoppelte.
    Bald danach begannen Russen und Amerikaner wieder, sich gegenseitig aufzuhetzen, der Kreml verschob die Wahlen, und die meisten Ausländer machten sich auf den Weg zum Flughafen. Allerdings nehme ich an, dass Paolo gern geblieben wäre, wenn ihm seine Firma nicht den Laufpass gegeben hätte, um die Banker zufriedenzustellen. Wie ich hörte, ist er nach Rio gegangen.
    Statt mich zu feuern, wurde ich nach London zurückgerufen, um, wie du weißt, unter Aufsicht der Unternehmenshauptverwaltung als Abschlussprüfer zu arbeiten, also im Souterrain irgendwelcher Firmen zu sitzen, die gekauft oder verkauft werden sollen, Akten zu prüfen und niemals, unter keinen Umständen, mit Klienten zu reden, was ein bisschen so ist, als würde man zurück auf Streife geschickt, nachdem man als Detective gearbeitet hat. Wieder im schalen Leben, das ich jetzt führe. Die alten Uni-Freundschaften nichts als Pflichtgefühl und Verlegenheit, dieser Job, der mich umbringt. Und du.
    Ich denke, wenn ich noch mit Mascha zusammen gewesen wäre, hätte ich gekündigt und wäre in Moskau geblieben, hätte wohl versucht, eine Stelle bei irgendeinem aufstrebenden Stahlmagnaten oder Aluminiumbaron zu finden. Sie hatte mich nicht geliebt, ich weiß – sie brauchte mich nicht zu lieben. Trotzdem denke ich, ich hätte weitergemacht, hätte ich sie zweimal in der Woche gesehen, sie zweimal in der Woche mit zu mir nach Hause genommen und gewusst, es gäbe irgendwo anders keine andere, keine bessere Version meiner selbst, in Moskau gehalten von der bleiernen Trägheit zunehmenden Alters. Ich glaube nicht, dass ich allzu sehr darüber nachgedacht hätte, wie viel von dem richtig war, was sie mir gesagt oder auch von dem, was sie getan hatte. Und ich hätte ohne Tatjana Wladimirowna leben können. Vielleicht wäre es mir sogar gelungen, sie zu vergessen. Also nehme ich an, dass Mascha letztlich der bessere Mensch war. Sie hatte Serjoscha, mithin die bessere Entschuldigung. Und sie verhielt sich wenigstens wie jemand, der etwas Unrechtes getan hatte. Ich weiß nicht, wer letzten Endes verantwortlich war, aber ich hoffe, sie hat einen guten Anteil bekommen.
    Einige Tage ehe ich Russland verließ, fuhr ich noch einmal zu Tatjana Wladimirownas alter Wohnung. Ein letztes Mal, und ehrlich gesagt, ich tat es eher aus Nostalgie als mit irgendwelchen moralischen oder edlen Absichten. Im Hof drückte ich wahllos Klingelknöpfe, bis jemand aufmachte. Seit ich zuletzt hier gewesen war, hatte man die Tür mit braunem Leder bezogen und oben in der linken Ecke eine unheimliche Sicherheitskamera angebracht, die, sobald ich mich der Tür näherte, jede meiner Bewegungen verfolgte, als wollte sie mich gleich mit einem Laserstrahl durchbohren. Ich klingelte, vernahm Schritte, spürte, dass ich durch das Guckloch beobachtet wurde, und hörte, wie drei, vier Schlösser geöffnet und ein Riegel zurückgezogen wurden.
    Er trug einen seidenen Kimono und eine grüne Gesichtsmaske, weshalb ich ihn erst nicht erkannte.
    »Entschuldigen Sie …«, sagte ich, verstummte und versuchte, ihn einzuordnen. Ich wusste, ich hatte ihn schon einmal gesehen, nur wo, daran konnte ich mich nicht erinnern. Vielleicht im Rahmen meiner Arbeit im Büro oder auf irgendeiner Party, womöglich damals, in der britischen Botschaft, als ich auf ein
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