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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
Autoren: A.D. Miller
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Ich klopfte an. Ein älterer Mann machte auf – er könnte um die fünfundsiebzig gewesen sein, vielleicht auch um die fünfzig, schwer zu sagen. Er trug einen Wintermantel, hatte aber weder Schuhe noch Socken an.
    Ich entschuldigte mich für die Störung und fragte, ob er mir etwas über das neue Gebäude in der Straße erzählen könne.
    »Nein.«
    »Nichts?«
    Er musterte mich einige Sekunden lang und fragte sich wohl, zu welcher Sorte Betrüger ich gehörte. Die Augen waren blutunterlaufen; der Bart war drei Tage alt, Zähne hatte er nur noch wenige.
    »Ich glaube«, sagte er dann, »denen ist das Geld ausgegangen.«
    »Wem?«
    »Keine Ahnung«, sagte er achselzuckend. »Den Bossen. Es heißt, sie wollen es wieder abreißen.«
    »Wer sagt das?«
    »Die Leute.«
    »Also wohnt da keiner?«
    »Keiner«, sagte er. »Ich meine, ich weiß nicht. Je weniger man weiß, desto besser schläft man.« Er schenkte mir ein zahnlückiges, tröstliches Lächeln und schloss die Tür.
    *
    Ich hatte nur eine ungefähre Vorstellung davon, wo Mascha und Katja wohnten, suchte aber alle anderen Orte auf, die mir einfielen, fast alle. Hättest du mich damals gefragt, hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass ich nach Tatjana Wladimirowna suchte, aber das wäre nur die halbe Wahrheit gewesen, und ehrlich gesagt, nicht die wichtige Hälfte. Dann war da noch mein Geld, die fünfundzwanzigtausend Dollar, aber das war auch nicht so wichtig.
    Als Erstes probierte ich es im Handygeschäft bei der Tretjakow-Galerie. Es war ein heißer Tag, und der Laden voll mit schwitzenden Kunden, die sich mit Angebotsprospekten Luft zufächelten. Die erste Frau, mit der ich redete, sagte, Mascha hätte gekündigt und sie habe viel zu tun. Der Manager sagte nein, sie besäßen über Mascha keine persönlichen Unterlagen, und er bat mich zu gehen. Also machte ich mich auf den Weg ins Restaurant an der Neglinnaja, wo Katja an Silvester als Kellnerin gearbeitet hatte. Hier gäbe es jede Menge Katjas, witzelte man dort, ich dürfe eine auswählen, aber die gesuchte gehörte nicht dazu.
    Nach Odessa war ich mir ziemlich sicher, dass Katja in ihrem Leben noch nie einen Fuß in ein Gebäude der Moskauer Staatsuniversität gesetzt hatte. Trotzdem ging ich hin, zu diesem wilden, aberwitzigen stalinistischen Turm auf dem Spatzenhügel. Ich erinnere mich, dass ein frisch vermähltes Paar Hochzeitsfotos auf jener Promenade machen ließ, die an der gesamten Universität vorbeiführt und einen weiten Blick auf die Stadt bietet, auf Fluss und Kreml, auf die Kirchen und all das Chaos. Die Braut trug ein baiserfarbenes Riemchenkleid, längst nicht so züchtig, wie deins vermutlich sein wird, falls du mich nach dieser Geschichte überhaupt noch willst. Ihre Freundinnen waren bunt wie Pfaue, der zum Bräutigam herangewachsene erste Freund trug wie alle anderen Männer einen dunklen Gangsteranzug. Sie wirkten so rührend verloren. Ich hörte die Gäste
›gorka, gorka‹
rufen (bitter, bitter), das traditionelle Stichwort für das Paar, sich zu umarmen und alle Bitterkeit fortzuküssen, auf dass ihr neues Leben süß werde. Die Standbilder vor der Fassade der Universität, die heroischen Intellektuellen, die Bücher hielten, Globen tätschelten oder dümmlich in die Zukunft stierten, erinnerten mich an die Statuen auf dem Bahnsteig in der Station Ploschad Revoluzii, wo ich Mascha zum ersten Mal gesehen hatte. Der Wachposten am Haupteingang ließ mich nicht in die Eingangshalle; allerdings hätte ich auch nicht gewusst, was ich dort wollte, wäre ich durchgelassen worden. Also blieb ich draußen und fragte hübsche Mädchen in kurzen Röcken und Jungen in billigen Jeans, ob sie Katja kannten, bis ich mich lächerlich fühlte und entsetzlich alt. Als ich ging, fuhr mich ein Skater fast über den Haufen. Der Stern oben auf dem Hauptturm blinzelte im erbarmungslosen Sonnenschein.
    Ich rief bei MosStroInvest an. Es dauerte eine Weile – ich glaube, die Firma stand kurz vor der Pleite –, schließlich aber kam ich durch. Sie sagten, von Stepan Mikhailowitsch oder Tatjana Wladimirowna hätten sie nie gehört. Ich nahm an, dass Stepan Mikhailowitsch einen Freund in der Firma oder bei den Bauunternehmern gehabt hatte, jemanden, der ihm den Schlüssel für Butowo lieh. Vielleicht war damit die Idee sogar erst aufgekommen, mit dem Köder. Sie müssen noch weitere ein, zwei Freunde gehabt haben, die ihnen die falschen Papiere besorgten. Und mehr brauchte es eigentlich nicht, nur noch
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