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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
Autoren: A.D. Miller
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harter Arbeit, ein Geschäft zu führen und Monat für Monat Profite einzustreichen; gewiss wäre es doch einfacher, stattdessen die Banken selbst zu schröpfen.
    Trotzdem wussten wir, diese Sache würde uns auf immer anhaften. Keine Teilhaberschaft für mich, für Paolo vermutlich einen Tritt in den Hintern, keine Boni für uns beide und sicher auch kein Moskau mehr. Nie mehr ›no limits‹.
    »Diese scheiß britischen Jungfraueninseln«, sagte Paolo. Ich betrachtete eine mit Vogelkacke bedeckte Leninstatue am Platz neben dem Hotel. »Scheiß Kosak. Scheiß Russland.«
    Die Pupillen seiner Augen hatten sich zu heimtückischen schwarzen Punkten verengt. Später bekam ich wegen Paolo Bedenken – ich fragte mich, ob er, nur mal angenommen, nicht in die ganze Sache verwickelt gewesen sein könnte. Ich dachte daran, wie er sich gegenüber dem Kosaken benommen hatte, an den Tag, an dem er so wütend gewesen war und an das Treffen bei Narodneft an Silvester, als wir den Kredit genehmigten, und ich versuchte, mich an bestimmte Momente oder verräterische Hinweise zu erinnern, die ich vielleicht verpasst hatte. Nur führten meine Überlegungen nicht zu viel oder genug.
    Wir tranken auf uns, dann auf Moskau und den verschlagenen Präsidenten. Paolo nahm sich zum Trost eine dralle Kellnerin der koreanischen Madame mit aufs Zimmer. Ich lag auf dem Bett und starrte hinaus in die milchige Arktisluft. Mir war nach Weinen, aber ich weinte nicht.
    Einige Stunden später – ich bin mir nicht sicher, wie spät genau, ich war noch betrunken und ziemlich bedrückt, zugleich aber auf merkwürdige Weise high, das Hochgefühl eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hatte – stand ich auf, ging nach draußen und schlenderte zu den Kränen und Docks. Auf einer mit Graffiti besprühten Fußgängerbrücke überquerte ich einen Schienenstrang und kam zu einem Ladekai. Ich hörte Musik und entdeckte weiter unten am Wasser ein geöffnetes Café.
    Im Café gab es einen gefliesten Boden und einen Tresen mit einem menschlichen Wesen dahinter, einem dicken Kerl mit Schürze und von Tattoos überzogenen Händen.
    »Guten Morgen«, sagte ich.
    »Ich höre«, antwortete er.
    »Kaffee, bitte.«
    Er gab einen Teelöffel voll Nescafé in eine Tasse und zeigte auf die Kanne mit heißem Wasser am Ende des Tresens. Ich goss mir ein und setzte mich. Der Kaffee roch nach Öl. Ein uralter Kühlschrank machte merkwürdige Geräusche.
    Mir fiel ein, was Mascha mir über ihren Vater erzählt hatte. Ich fragte den Cafébesitzer: »Ist dies hier der Hafen für die Atomeisbrecher?«
    »Nein.«
    »Wo liegen die?«
    »Unten an der Bucht ist eine militärische Anlage. Eigentlich ein Geheimnis.« Dort seien die U-Boote stationiert, fuhr er fort. Und dahin hätte man auch das U-Boot geschleppt, das vor ein paar Jahren gesunken ist, um dann die Leichen der armen, aufgequollenen Jungs rauszuholen. Ich sah ihm an, dass er reden wollte, musste aber so tun, als würde ich es nicht merken.
    »Liegt da auch die
Petrograd

    »Wie soll das U-Boot heißen?«
    »
Petrograd
. Ein Eisbrecher.«
    »Nein, eine
Petrograd
gibt es nicht.«
    »Doch, gibt es. Ich bin mir sicher. Ich meine, ich glaube jedenfalls … Vielleicht gab es die früher und sie ist längst außer Dienst.«
    »Nein«, erwiderte der Dicke. »Es gibt keine
Petrograd
. Ich arbeitete seit fünfundzwanzig Jahren in diesem Hafen. Früher war ich Mechaniker. Eine
Petrograd
gibt es nicht.«
    Ich zitterte und hielt die Tasse mit beiden Händen. Mir fiel noch etwas ein, was Mascha mir über ihre Kindheit in Murmansk erzählt hatte.
    »Sagen Sie. Das Rad – das Riesenrad.« Ich wies über meine Schulter zum Hügel hinüber, auf dem es stand. »War es in den Achtzigern teuer, damit zu fahren? Ich meine, war es für Kinder vielleicht zu teuer?«
    »Das stand in den Achtzigern noch gar nicht«, sagte der Dicke. »Wurde erst 1990 aufgebaut und war das Letzte, was die Sowjetunion für uns getan hat. Ich weiß es so genau, weil ich in dem Jahr geheiratet habe. Nach dem Standesamt sind wir auf das neue Riesenrad.« Einen Moment lang senkte er den Blick, ob in zärtlicher oder reuevoller Erinnerung, konnte ich allerdings nicht erkennen. »Kostete zwanzig Kopeken«, ergänzte er dann. »Aber in den Achtzigern gab es das noch nicht.«
    *
    Narodneft weigerte sich, irgendwelche Haftung für den Betrug des Kosaken zu übernehmen. Man wies darauf hin, dass man nur zugesagt habe, das Öl zu pumpen und für die Kosten
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