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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
Autoren: A.D. Miller
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pseudovornehmen Engländer, großmäuligen Amerikaner und betrügerischen Skandinavier, die der Schwarzgoldrausch nach Moskau geführt hatte und die es meist fertigbrachten, sich mit kaum zwanzig Wörtern vom Büro zum abgeschotteten Apartment zu bewegen, vom Spesenbordell und Edelrestaurant zum Flughafen. Ich sprach ganz gut Russisch, doch verriet mich mein Akzent, sobald ich auch nur den Mund aufmachte. Mascha und Katja dürften mich schon als Ausländer eingeordnet haben, noch ehe ich die erste Silbe über die Lippen gebracht hatte. Ich schätze, ich war leicht zu erkennen. Es war Sonntag, und ich befand mich auf dem Heimweg von einem langweiligen Treffen mit Auslandsengländern bei einem einsamen Buchhalter. Ich weiß noch, dass ich fast neue Jeans trug, Wildlederschuhe und einen dunklen Pullover mit V-Ausschnitt, darunter ein Hemd von Marks & Spencer. So zog man sich in Moskau nicht an. Wer das nötige Kleingeld besaß, zeigte sich in Filmstarhemd und italienischen Schuhen, wer aber kein Geld hatte, und das waren die meisten, trug ausrangierten Armeebestand oder billige weißrussische Schuhe zu unauffälligen Hosen.
    Mascha dagegen sprach authentisch schönes Englisch, auch wenn es mit der Grammatik manchmal haperte. Manche Russinnen versteigen sich zu einem übervornehmen Gequieke, sobald sie Englisch reden, Maschas Stimme dagegen wurde tiefer, sank im Ton fast herab zu einem Knurren mit hungrig gerollten Rs. Sie klang, als wäre sie nächtelang auf Partys gewesen. Oder im Krieg.
    Wir gingen zu den Bierzelten, die am ersten warmen Maitag für den Sommer aufgestellt werden, da es dann die ganze Stadt nach draußen drängt und einfach alles passieren kann. Im Oktober, wenn der Altweibersommer vorüber ist, werden sie wieder abgebaut.
    »Sagen Sie, bitte«, forderte mich die Jüngere auf. »Meine Freundin behauptet, in England da gibt es zwei …«
    Sie brach ab, um sich rasch mit ihrer Gefährtin auf Russisch zu unterhalten. Ich verstand nur ›heiß‹, ›kalt‹ und ›Wasser‹.
    »Wie heißt das noch?«, fragte dann die Ältere, »wo Wasser rauskommt? In Badezimmer.«
    »Hahn?«
    »Ja, Hahn«, fuhr die Jüngere fort. »Meine Freundin behauptet, in England gibt es zwei Hahne. Deshalb heißes Wasser verbrennt manchmal die Hand.«
    »Da, eta prawda«,
antwortete ich. (Ja, das stimmt). Wir folgten einem Weg auf dem Bulwar, vorbei an einigen Wippen und wackligen Rutschen. Eine dicke Babuschka verkaufte Äpfel.
    »Und stimmt es«, fragte sie dann, »dass in London immer dichter Nebel ist?«
    »Njet«,
sagte ich. »Vor hundert Jahren vielleicht, aber heute nicht mehr.«
    Sie blickte zu Boden. Mascha, die Frau mit der Sonnenbrille, lächelte. Wenn ich zurückdenke und mich frage, was mir an diesem ersten Nachmittag an ihr gefiel, dann war da außer diesem schlanken, gazellenhaften Leib, der Stimme und den Augen vor allem ihre Ironie. Sie wirkte, als wisse sie bereits, wie es enden würde, und wollte es mich ebenfalls wissen lassen. Vielleicht kommt mir das heute nur so vor, aber ich glaube, auf gewisse Weise entschuldigte sie sich bereits. Ich glaube, für sie ließ sich der Mensch von seinen Taten trennen, so als könnte man Geschehenes einfach begraben und vergessen, als gehörte die eigene Vergangenheit jemand anderem.
    Wir kamen zu der Kreuzung, von der meine Straße abzweigte. Ich hatte dieses trunkene Gefühl, das mich – ehe ich dich kennenlernte – jedes Mal in Anwesenheit schöner Frauen überkam, halb nervös, halb leichtsinnig, fast, als würde ich schauspielern, als führte ich das Leben eines anderen und müsste, solange ich konnte, das Beste daraus machen.
    Mit einer Handbewegung sagte ich: »Da drüben wohne ich.« Und dann hörte ich mich sagen: »Darf ich Sie auf einen Tee einladen?«
    Ich weiß, du denkst, wie lächerlich, dass ich es auf diese Tour überhaupt versucht habe. Aber vor ein paar Jahren hätte es noch klappen können, damals, als man Ausländer in Moskau noch exotisch fand und einen Anwalt für einen Menschen mit durchaus akzeptablem Einkommen hielt. Ganz bestimmt, es hätte geklappt.
    Sie lehnte ab.
    »Doch wenn Sie Interesse haben«, sagte sie, »dürfen Sie uns anrufen.« Sie schaute zu ihrer Freundin hinüber, die einen Stift aus ihrer linken Brusttasche zog und ihre Nummer auf die Rückseite eines Busfahrscheins schrieb. Sie hielt ihn mir hin; ich nahm ihn.
    »Ich heiße Mascha«, sagte sie. »Das hier ist Katja, meine Schwester.«
    »Ich bin Nick.«
    Katja in ihrem
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